Mantra Musik

Samstag, 1. August 2015

Tagebuch: Mein buddhistischer Weg - Vogelfrei!




Ich habe mich bisher mit keiner Schule verbunden geführt und ich weiß nicht ob ich mich je mit einer Schule verbinde - was (so mir bewusst ist) viel mit meiner Geschichte zu tun hat. Ich lehne jeglichen Zwang ab, ich kann mich mit nichts verbinden, das andere Schulen z.B. heruntersetzt oder ablehnt, oder sich als Besser bezeichnet.

Ich habe mich sehr früh für Religionen interessiert, bereits als 12 Jährige hatte ich alle großen Religionen durchforst, allerdings nur die Abendländischen Religionen, inklusive des Hindusimus. Und trotzdem war keine darunter, die mein Herz erreichte. Die konservativen Ansichten haben mich abgeschreckt, die Geschichte zu den Anfängen der Religionen erst recht. Was ich suchte war der Frieden. Ich suchte eine Religion die wirklich friedvoll war, ohne Mord und Totschlag und ohne Absolutionsgedanken. Später wurde mir bewusst, dass ich nicht nur den Frieden, sondern auch die Freiheit suchte. Ich denke als Mensch der sehr viel persönlichen Krieg erlebt hat, haben mich gerade diese zwei Richtungen angezogen: Freiheit und Frieden. Die Freiheit zu wählen, zu kritisieren, sich seine eigene Meinung bilden und den eigenen Weg zu finden. Ohne Zwang. Den Frieden im Praktizieren, im Erkennen von Zusammenhängen.

Das hat mich fasziniert. Ich war mitte Zwanzig als ich das erste Mal vom Buddhismus hörte. Ich hatte eine Freundin, die sehr spirituell war und eine ihrer besten Freundinnen war Buddhistin. Dadurch erlangte ich einen ersten Einblick in den Buddhismus - ihre Praxis (Tibetischer Buddhismus) gefiel mir nicht sonderlich, aber das was sie zum Thema Buddhismus zu erzählen hatte faszinierte mich.
Ich fing an Bücher zum Thema zu lesen, besuchte Zentren, unterhielt mich mit Mönchen und fand alles sehr nah und doch distanziert. So richtig Kontakt bekam ich zu den Leuten nicht. Was sicherlich auch an mir lag. Ich bin zu indiskret, zu direkt und zu ehrlich in meinen Fragen. Ich habe kein Benehmen (das weiß ich, möchte es aber auch nicht ändern. Ich fühle mich in mir sehr autharg mit meiner kompromisslosen Ehrlichkeit), ich wusste nicht wie man sich mit Mönchen unterhielt und ich habe mit Sicherheit etliche Etiketten ignoriert.

Dann kam ich ins Forum Buddhaland, als Neuling war das mein erster direkter Weg mit nicht Ordinierten und ich war entsetzt. Bis dahin dachte ich noch alle Buddhisten sind friedvoll. Im Buddhaland wurde mir Bewusst, das ein Mensch immer die Entscheidung hat, ob er friedvoll sein möchte oder nicht, egal ob er sich Christ oder Buddhist nennt. Friedvoll ist eine Entscheidung die wir in uns tragen, ein Ja oder ein Nein.


Im Buddhaland wurde ich oft angegriffen, die Leute fanden ich stellte zu viele Fragen und gab mich nicht mit Zitaten aus dem Palikanon zufrieden, ich wollte IHRE Meinung zum Thema hören, ich wollte in die Tiefe eintauchen und wurde regelmässig an die Oberfläche katapultiert. Ich verließ das Buddhaland, doch ein Moderator hatte wohl anfangs großes Mitgefühl, er schrieb mich über EMail an und daraus entstand eine wundervolle Freundschaft.

2009 entschied ich mich dann die Zuflucht zu nehmen. Das war eine wirklich wichtige und große Entscheidung. Die für mich nachhaltige Wirkung hat. Ich begriff das ich schon immer Buddhistin bin, das was ich mittlerweile gelernt habe, was einen Buddhistischen Namen trägt, ist bereits seit ewigen Zeiten Bestandteil meines Lebens. Bereits als Kind habe ich meditiert, ohne zu wissen was Meditation bedeutet. Es ist nicht schwer für mich, den Geist zu leeren, was sicherlich an dieser Jahrelangen Technik liegt. Als Kind war es Lebenswichtig für mich mich innerlich Ruhig zu halten. Meine Panik und Angst zu beruhigen, ich musste erkennen können, wenn Gefahr droht, daher war Achtsamkeit gepaart mit Aufmerksamkeit für mich Notwendig. Ich hatte oft Phasen da dauerte die Meditation mehrere Stunden, trotz Lautstärke konnte ich meinen Geist auf mich selbst konzentrieren, auf meinem Atem, meinen Herzschlag. Für meine Aussenwelt war ich in dieser Zeit nicht erreichbar, ich war wie eine Autistin deren Welt im Inneren stattfand. Heute denke ich, das diese Art des Abschaltens mich vor weiteren Unheil geschützt hat. Wenn ich dann wieder aus meiner Meditation auftauchte war ich ruhig und besonnen, ich konnte viel besser mit dem im Außen umgehen.
Logische Schlussfolgerungen fielen mir leichter nach einer Meditation. Ich kam besser mit der Gewalt klar, die mir täglich begegnete. Ich hatte manchmal so heftiges Herzklopfen das ich dachte mein Herz bleibt gleich stehen, immer dann sagte ich mir: "Ruhig Atmen!", ich schloss dann die Augen und konzentrierte mich aufs Atmen, dann auf mein Herz, dessen Takt sich beruhigte und wenn ich dann die Augen öffnete sah die Umgebung anders aus, klarer, ich konnte die Situation anders beurteilen, anders reagieren.

Meine ersten Erfahrungen mit dem Buddhismus  - von dem ich nicht wusste, das es der Buddhismus ist - geschahen im Leid. Und als ich viele Jahrzehnte später las, das Leid allgegenwärtig ist, verstand ich um so besser das Leben.
Durch die für mich damals namenlose Religion fing ich an Leben zu wollen. Schon als Kind begriff das es das das einzige ist, worum man wirklich kämpfen muss. Um das Überleben. Alles andere ist unwichtig. Geld, Ansehen, Macht all das ist unwichtig. Wichtig ist nur das Leben selbst. Durch meine Kindheit war der Tod tagtäglicher Begleiter. Ich sah wie Tiere und Menschen starben. Ich selbst sollte Sterben. Der Tod war nichts ungewöhnliches. Er kam und ging. Als Kind dachte ich, der Tod ist eine Art Erlösung und trotzdem kämpfte ich um mein Leben, als man mich töten wollte. Während ich starb lies ich vom Leben los, dieser eine Moment wo auf einmal alles leer ist, dieser Moment ist vielleicht vergleichbar mit der Erleuchtung. Ich habe tatsächlich eine Art Tunnel gesehen und ein Licht und dann nichts mehr. Ich kann euch nicht sagen, wie lange ich tot war. Vielleicht waren es nur Sekunden, bis ich wieder lebendig wurde. Aber dieses Erlebnis hat mich nachhaltig geschützt. Egal was mir danach noch passiert ist, ich kam immer mit dem Leben davon. - Weil ich im Grunde meines Herzens Überleben wollte.

Als ich sterben sollte war ich neun Jahre alt, zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon alles an Gewalt hinter mir, das ein Mensch verkraften kann. Ich wurde vergewaltigt und verkauft, körperlich und psychisch misshandelt, ich litt unter Hunger, Lieblosigkeit, Einsamkeit und Isolation.
Ich sollte sterben, weil meine Mutter es meinem Vater befohl: "Ich will das dieses Balg stirbt!" sagte sie und mein Vater wütend und alkoholisiert drückte mir die Kehle zu, während meine Mutter schwankend neben ihm stand. Meine Geschwister hatten sich ängstlich zu einer Kugel umarmt, sie weinten als mein Vater zudrückte. Es ist unglaublich schmerzhaft nicht mehr atmen zu können, der Körper schreit danach zu atmen, er wehrt sich. Im letzten Moment verändert sich die Welt um einem herum, sie verschwimmt zu einer Wabernden Masse, dann verschwindet alles. Der Blick wird zu einen Tunnelblick und dann sah ich dieses helle Licht das auf mich zukam.
Und dann war nichts mehr.

Es fehlen mir ab da Wochen oder gar Monate. Ich habe keine Ahnung was passiert ist. Ich weiß nur von einer Nachbarin die aus ihrem Fenster sah, womöglich weil sie wieder einmal aus unserem Haus kommendes Gebrüll gehört hatte. Sie sah wie mein Vater meinen leblosen Körper aus dem Fenster warf. Danach rief sie die Polizei an und einen Krankenwagen. Meine Nachbarin war über 80 als sie mir von diesem Tag erzählte, an dem sie Jahre später annahm ich sei wirklich gestorben. Es war für sie der schrecklichste Tag ihres Lebens, sie hatte große Angst, um mich wie um sich selbst. Ein direktes Eingreifen war für sie nicht möglich. Aber sie rettete mir das Leben und dafür werde ich ihr immer dankbar sein.

Meine Erinnerung setzt erst wieder im Auto einer Sozialarbeiterin ein, die mich und meine Schwester zu unseren Pflegeeltern fuhr. Was davor passiert ist, das weiß ich leider nicht mehr und leider erhielt ich keinen Einblick in meine Akte, aus Datenschutzgründen. Mein Fall ist vor vielen Jahrzehnten bereits verjährt, ich habe keine Ahnung wo die fehlenden Monate hin sind, die seit meinem Tod vergangen sind....

Der Buddhismus hat mir geholfen, dieses Erlebnis wie viele andere Erlebnisse davor und danach zu verarbeiten und vor allem zu erklären.
Es gab eine Zeit da existierte meine Kindheit und Jugend nur anhand von fehlenden Puzzlesteinen. Es war so ein Durcheinander in meinem Kopf, das Erlebte ergab oft keinen Sinn, weil mir ein Großteil einfach fehlte. Zeiten waren teilweise verschwunden. Ich konnte das Durcheinander nicht zu ordnen, was dann in der weiterführenden Schule zu einem richtig großen Problem wurde, denn ich konnte dadurch keinen Lebenslauf schreiben. Als es darum ging, hatte ich meinen ersten Zusammenbruch. Ich saß vor dem Lebenslauf und alles drehte sich in meinem Kopf zu einem einzigen Wort: NICHTS.

Da gab es nichts was ich hätte hin schreiben können, weil es in meinem Kopf nichts gab, was die Fehlenden Zeiten erklären könnte. Ein großes NICHTS.
Nach diesem Nervenzusammenbruch wurde mir bewusst, dass ich noch mal zurück zu meiner Kindheit musste, ich musste herausfinden, wo die fehlenden Zeiten sind. Ich musste herausfinden, was wirklich passiert ist.
Damals war ich noch keine Buddhistin, aber ich handelte wie eine Buddhistin.

Finde zu dir selbst - das ist der erste Weg zum Buddhismus. Im Buddhismus geht es darum sich selbst kennen zu lernen. Seine Schwächen wie Stärken zu erkennen. Im Buddhismus lernt man sich ungeschminkt zu betrachten. Ehrlich mit sich selbst umzugehen und eine Entscheidung zu treffen, die für einen selbst wie für alle Mitlebewesen friedvoll ist.
Sich selbst kennen zu lernen, ist daher Notwendig für alle weitere Weg innerhalb des Buddhismus. Denn nur so versteht man was Mitgefühl wirklich bedeutet.

Ich ging noch einmal zurück zu den Anfängen und dann weit zurück zu meinen Wurzeln. Ich erkannte Strukturen in meiner Familienchronik die sich immer wieder erneut bildeten, eine Wiederholung von Leid und ich begriff, das es wichtig ist die Wiederholung zu beenden um erneutes Leid zu verhindern. Eine Wiederholung war das Kinder missbraucht und misshandelt wurden. Sowohl meine Großmutter, die Mutter meiner Großmutter, als auch mein Vater, als auch der Vater meines Vaters, als auch meine Mutter, die Mutter meiner Mutter - wurden als Kinder schwerst misshandelt und missbraucht.

Diese Struktur zog sich durch die Geschichte meiner Familie wie ein roter Faden. Und noch immer zieht sie sich durch das Leben meiner Geschwister wie das deren Kinder.
Ich begriff das es Lebensnotwendig ist diesen Faden zu durchschneiden und auch wenn ich am Leben der restlichen Verwandschaft nichts ändern konnte, mein eigenes Leben und das meiner Familie musste befreit werden - Fadenlos - das war mein erstes Verstehen.
Ich begriff karmische Zusammenhänge anhand meines Lebens und das meiner Ursprungsfamilie.
Ich begriff das es notwenig ist, einen Faden durchzuschneiden und damit einen bestehenden Zustand zu verändern.
Ich begriff dadurch das bedingte Entstehen. Mir wurde bewusst, das ich die Chance habe mein Leben neu zu beginnen, wenn ich mich aus der bestehenden Abhängigkeit und des bestehenden Leids meiner Geschichte befreie. Als ich begriff wie verzweigt Leid in meiner Ursprungsfamilie ist, meldete sich Mitgefühl. Es war unglaublich schmerzhaft und Heilsam, weil mir bewusst wurde, wie stark verwurzelt das Thema Leid in meiner Familie vorhanden ist.

Doch manchmal geht es mir so, dass sich in mir ein großes Fragezeichen aufbaut, die Frage nach dem Warum (mir all das passiert ist) wird wohl immer in mir vorhanden sein. Gleichzeitig formt sich die Frage: Warum nur ich es geschafft habe...
Mir ist im Laufe der Zeit bewusst geworden, das es mein (Er)Leben ist und das ich nicht nicht davon ausgehen kann, das meine Ursprungsfamilie die gleichen Voraussetzungen haben wie ich, noch kann ich davon ausgehen, das sie das gleiche Empfinden haben. Ihr (Er)Leben ist ein anderes, genauso wichtiges und notwendig wie meines.

Als junge Frau hab ich mich oft über meine Familie gestellt. Ich habe die Schule beendet und studiert. Meine Intelligenz war immer wie ein erhobener Mittelfinger, ein Trotzzeichen für die Schicht aus der ich komme.  Mein Leidspruch: "Egal woher du kommst du kannst dich davon befreien!" war gleichzeitig ein Kriegschrei an die Jenigen die zurück blieben.

Vor einigen Jahren wurde mir bewusst, das es niemanden dient hinab zu blicken oder hinauf zu blicken. Wir werden alle nackt geboren, dass ist das was wir wirklich haben. Egal ob wir eines Tages reich oder arm sind, ob wir intelligent oder einfach gestrickt sind, wir sind nur nackt. Und niemand sieht uns an, wer wir wirklich sind, nackt sehen wir alle gleich aus.

Mittlerweile muss ich niemanden mehr sagen, wie intelligent ich bin, um meine Geschichte zu überdecken mit einem neuen Gewandt von Eitelkeiten. Heute fühl ich mich nackt und alles was ich tue, tue ich, weil ich es tun will, nicht weil ich es muss.
Ich schäme mich nicht mehr für meine Vergangenheit und ich fühle mich auch nicht mehr Schuldig daran, das ich als Einzige meiner Familie daraus hinaus gewachsen bin - weil ich es nicht bin. Vor ein paar Wochen sprach ich mit meiner kleinen Nichte, die zum zweiten Mal Mama geworden ist. Ich verfolge seit Jahren schon ihren Weg und ich sehe wie toll sie ihr Leben meistert. Ihre Kinder sind wundervoll und es spricht so viel Lieben aus ihren Worten. Das macht mir Mut das eine neue Generation aus meiner Familie entstanden ist. Vielleicht ist mit ihr und ihren Kindern der Faden endgültig verschwunden. Das macht mich sehr Glücklich und ich begreife, ich muss nichts mehr tun. Ich kann mich nun endgültig auf meine Familie konzentrieren.

Meine Vergangenheit ist Vergangen, was immer passiert ist, es ist nicht mehr wichtig.

Und doch muss ich darüber immer noch schreiben. Es gibt Nächte die mich wieder zurück bringen in eine Zeit in der ich selbst noch Kind war. In diesen Träumen wiederholen sich die Angriffe und Misshandlungen, der Schmerz und die Begegnungen mit dem Tod. Und wenn ich aufwache, erlebe ich die gleichen Symptome wie früher, Herzrasen, umglaubliche Angst, ein Gefühl Flüchten zu müssen, sterben zu müssen. Dann greife ich nach dem Lichtschalter und wiche mir die Tränen weg und dann fühle ich die Hand meiner Frau die meine Schulter berührt, sachte und voller Liebe. Und mein Atem wird ruhiger. Dieses: "Alles ist gut!" meiner Realität lässt den Traum schnell in den Hintergrund treten.

Am Tag darauf fange ich an zu schreiben, ich schreibe mir den Traum aus der Seele.
Es ist meine Art meine Vergangenheit immer wieder aufs neue zu verarbeiten, mir bewusst zu machen, das es wirklich vorbei ist. Die bösen Geister von Damals sind schon lange nicht mehr da und nur die leisen Echos sind noch fühlbar. Es ist notwendig sich bewusst zu machen woher man kommt und wer man ist. Es gehört zu mir und meinem Leben und dieses Echo hilft mir es besser zu verstehen und es besser zu machen. Jeden Tag aufs neue, bewusst zu sein, was mir als Mensch geschenkt wurde. Aus der Kraft des Überlebens ist Leben geworden. 

Der Buddhismus hilft mir dieses Leben - mein Leben zu schützen.

Ich bin unglaublich dankbar Buddhistin zu sein.
Und ich bin dankbar für meine wundervolle Familie.
Meine Geburtslinie werde ich in diesem Leben nicht weiterführen, auch dafür bin ich unendlich dankbar.

Meine Tochter ist frei davon!!!

Namasté

Eure Jo


Bild: (c) Jo Schlitzkus: Vogelfrei, Kopieren und Vervielfältigen nicht erlaubt!

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