Mantra Musik

Mittwoch, 9. März 2016

Über das Alter




Früher dachte ich, die alten Leute leben viel zu sehr in der Vergangenheit, weil sie in der Gegenwart keine Freude mehr empfinden. Ich bekam oft Geschichten von alten Leuten zu hören. Egal wo ich saß, irgendjemand setzte sich neben mich und fing an zu erzählen.
Für mich oft belangloses Zeug über Berufliches, oder Privates. Manchmal hab ich mich gestört gefühlt, war es doch so offensichtlich, dass ich lesen wollte, oder Musik hören oder anderweitig mich mit meinen Gedanken beschäftigen. Der alte Mensch neben mir, blätterte in seinen Geschichten die er mir aus seinen Erinnerungen vorlas. Manchmal nickte ich ihm beiläufig zu, während ich gefühlte 1000mal den gleich Satz in meinem Buch erneut las, manchmal legte ich aber auch das Buch beiseite und dann kam es bisweilen vor, dass ich in den Worten meines Gegenübers versank.

Früher hab ich mir oft die Frage gestellt, was die Leute dazu ermunterte so einfach einer Fremden ihre Lebensgeschichten zu offenbaren. Selten sprachen sie über die Gegenwart. Es war mehr ein Eintauchen in eine Zeit die längt vergangen war.
Und ich wurde unfreiwillig Zeugin dieser Vergänglichkeit. Und während es für mich war, als sei ich in den Träumen eines anderen eingeladen worden, wechselten die Gesichtszüge des anderen in Sekunden gemessen von Trauer zu Glück. Die Falten erzählten ganze Bibliotheken voller Erleben.

Heute da ich selbst schon 50 Jahre alt bin, verstehe ich die alten Menschen von damals besser.
Das was man in seinem Leben erlebt hatte, war vorüber, das was man in der Zukunft noch erleben wird, war nicht da. Und die Gegenwart ist geprägt von friedvoller Zurückhaltung - zumindest ist das in meinem Fall so.

Die Aufregung, das Herzrasen, die leisen und lauten Zwischentöne zwischen Kindsein und Erwachsensein existieren nur noch in alten vergilbten Fotografien und den gleichfalls vergilbten Erinnerungen die man ein Leben lang mit sich trägt.

Die größten Abenteuer erleben wir Menschen in der Jugend und nicht mehr im Alter. Und aus dem Grund holen wir uns hin und wieder den Moment der Spannung die wir damals erlebt haben ins Haus, indem wir die alten Geschichten etwas ausschmückend den jungen Leuten von Heute erzählen.

Für einen kleinen Moment verschwimmen die Grenzen zwischen alt und jung. Und wenn man es zulässt dann sitzt man auf einmal neben einen anderen Menschen dessen Alter vollkommen egal ist, man hört zu und lacht und am Ende geht man wieder getrennte Wege. Aber für einen winzig kleinen Moment wurde man tief berührt durch die Offenheit eines Fremden.

Uns mögen die alten Geschichten nicht unbedingt so spannend erscheinen wie dem der sie erzählt, aber diese paar Minuten vermitteln eine Gemeinsamkeit die weit über die Beziehung fremder Menschen hinweg geht. Es ist ein Hineintauchen in ein Gefühl von Einsein - wenn man es zulässt, wird der Fremde während der Zeit des Erzählens zum Freund.

Früher war es mir nicht bewusst, irgendwann stand ich auf und verabschiedete mich, aber das Wundern über diese Offenheit eines wildfremden Menschen hat mich noch eine ganze Weile begleitet und ich fühlte oft ein beschwingtes Gefühl, als wäre etwas besonderes passiert...

Diese Gefühle verschwanden genauso schnell wieder wie sie gekommen waren. Heute blicke ich zurück und erinnere mich gerne an diese Augenblicke und die Faltengesichter der alten Menschen die mir junger Frau ein wenig aus ihrem Leben erzählten.

Noch sind meine eigenen Falten kaum sichtbar, aber das ändert sich bald und vielleicht werde ich dann die Jenige sein, die sich neben einem lesenden jungen Menschen auf die Bank setzt und auf einmal anfängt zu erzählen, über mein aufregendes Leben... aber ich glaube das hat noch ein wenig Zeit... denke ich :)


In diesem Sinne
Es werden die Grenzen zwischen Jung und Alt eines Tages wie von selbst verschwinden und alles was zurück bleibt ist das tiefe Verständnis des gelebten Lebens.


Namasté eure Andarnil

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