Mantra Musik

Sonntag, 21. Mai 2017

Tagebuch - Kapitel beendet


Tagebuch - Kapitel beendet.



Wie fühlt es sich an, wenn die Menschen alle gestorben sind, die mir Leid antaten?
Ich war selbst überrascht über meine Gefühle. Es kam keine Erleichterung, ich habe sogar anders reagiert als bei dem Tod meines Vaters, damals hab ich total hysterisch gelacht und konnte nicht mehr aufhören, heute habe ich im Auto gesessen und mir kamen die Tränen.

Meine Nichte sagte: "Nun sind endlich alle Teufel tot".
In dem Moment als die Tränen kamen, weinte ich nicht um sie, ich weinte darum nicht traurig sein zu können und das hat mich traurig gemacht.
Die Frau die mich geboren hat ist tot. Ich denke mir, eigentlich müsste ich... ja was?
Feiern, lachen, ausgelassen tanzen. Nichts davon ist in mir.

Ich glaube mehr hass als meine Mutter mir entgegen brachte, kann man nicht hassen und doch kann ich mir vorstellen, dass irgendwas in ihr auch zum Lieben bereit war, hätte sie es irgendwie in sich aktiviert - jeder Mensch kann lieben, denke ich.

Zu ihrer Beerdigung wird kaum jemand erscheinen, zumindest nicht ihre Kinder. Als ich meine Nichte frage wie es meiner Schwester geht, meinte sie nur: "Sie ist froh, dass sie weg ist!"

Wie heftig, sie hat mindestens 7 Kinder geboren und ist einsam gestorben. Wenn man überlegt, dass es noch Enkelkinder und Ur-Enkel gab, wenn man überlegt das alle nun aufatmen, weil jemand tot ist, der nur Leid und Hass säte, dann ist das wirklich schlimm.

Ich suche mir genau solche Gedanken um ein letztes Mal Mitgefühl für ihre Seele zu empfinden, das hilft mir auf meinem Wege. Wie merkwürdig, ich war die erste aus dieser Familie und ich war die sie töten wollte und ich bin vielleicht die einzige die noch dazu bereit ist und in der Lage ist, irgendetwas gutes zu empfinden.

Nun bin ich das was man wohl Weise nennt, etwas das ich schon immer war.
Als Jugendliche hab ich mal gebrüllt: "Kein Mensch wird um euch weinen wenn ihr stirbt!"
Die Träne heute gehört ihr...
Aber ich weine nicht um sie, sondern um mich. Ich gestatte mir heute Mitgefühl für mich selbst zu haben, weil diese Frau mich töten wollte, mir ihren Hass entgegen schrie, mich festgehalten hat, als man mich misshandelte und vergewaltigte. Mich an Männer verkauft hat und sich umdrehte und ging als ich eine Mutter am meisten gebraucht habe.

Ich weine die Träne um eine Mutter die sie nie war. Und darum was ihr alles entgangen ist, die Liebe die ein Kind einer Mutter entgegenbringt ist so unendlich groß, ich erlebe es an meiner Tochter, die mich manchmal vergöttert und mir kleine Liebesbotschaften schreibt.
Meine Mutter hat solche Botschaften von keinem ihrer Kinder erhalten.
Wie gerne hätte ich sie so geliebt wie meine Tochter mich liebt.
Darum weine ich.

Meine letzte Träne gehört meinen Geschwistern und meinen Nichten und Neffen, die genauso wenig eine Mutter, eine Oma oder eine Ur-Oma hatten. Manche werden gar nicht erfahren, dass es diese Frau nicht mehr gibt. Viele werden aufatmen, vielleicht gibt es sogar den einen oder anderen der feiert. Aber ich denke die meisten werden sich irgendwie wegschießen mit Alkohol oder Drogen.

Meine Nichte sagte: "Ich zünde dem Teufel keine Kerze an!"
Ich bin so froh, dass es dieses Mädchen gibt. Ich hab sie sehr lieb.

Ich werde auch keine Kerze anzünden. Meine letzte Träne ist versiegt.


Bild: das Haus in dem ich aufwuchs.

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