Mantra Musik

Sonntag, 12. November 2017

Über die Kunst des Faulseins


Auf dem Bild sieht man meine Tochter mit Isi, dem Hund meines besten Freundes.

Mein Titel: Über die Kunst des Faulseins, hat eigentlich nicht viel mit diesem Bild zu tun. Für mich jedoch ist das Bild als Einleitung genau Richtig, warum erfahrt ihr gleich.

Dieser Tag am Meer ist für uns zur Normalität geworden, wir genießen die Zeit mit Nichtstun, während unsere Tochter noch fröhlich herumspringt und mit den Wellen um die Wette rennt, sitzen wir oft wie zwei alte Damen auf der Bank und schauen ihr dabei zu ohne den Willen irgendwas zu machen.  Wir lassen die Zeit einfach verstreichen. Manchmal reden wir über Dinge die uns gerade beschäftigen, aber oft schweigen wir einfach, halten unsere Hände und schauen auf das Wasser.
Mein liebster Platz im Haus ist das Bett, ich genieße die Stille im Schlafzimmer, ich genieße die warme Decke, die kühle Luft die durchs gekippte Fenster hereinweht, oft sitze ich mit einer Mütze auf dem Kopf, angelehnt an viele Kissen und schreibe meine Gedanken nieder. Ich könnte mir nicht vorstellen, meinen Laptop mit ins Esszimmer zu nehmen und dort zu schreiben.  Für mich ist die gemütlichste Art zu schreiben im Bett. Vor dem Bett sieht es oft aus, als wäre ein Mülleimer umgefallen, oft sogar ist das der Fall, weil ich an meinem Papierkorb angestoßen bin und der wirklich umfiel und all das was  ich im laufe der Woche weggeworfen habe liegt neben meinem Bett und anstatt es sofort wegzuräumen lass ich es so lange liegen, bis ich keine Lust mehr habe auf Bonbonpapier und alten Zeitungen auszurutschen.

Vor meiner Bettseite herrscht wildes Chaos, vor der Bettseite meiner Frau ist es ordentlich aufgeräumt.
Ich bin ein Messie, ich horte gerne und irgendwann wenn sich genug Müll und Zeug angesammelt hat und ich nichts mehr finde, räume ich auf. Aus dem Grund darf auch niemand außer meiner Frau und meine Tochter das Schlafzimmer betreten.
Paradoxerweise liebe ich es ordentlich schön und gemütlich. Ich hätte gerne ein romantisches Schlafzimmer in dem alles seinen Platz hat - Aber ich schaff das nicht - spätestens einen Tag nachdem ich aufgeräumt habe und mir vorgenommen habe, das es jetzt so bleibt sieht es wieder so aus. Irgendwann hab ich mich damit angefreundet, das es eigentlich vollkommen egal ist, ob aufgeräumt ist oder nicht. Es ist mein Chaos, das ist auch eine Seite von mir. Die Seite die keinen Bock hat aufzustehen und das was ich benutzt habe wieder an seinen festen Platz zu stellen.

Meine Bettseite zeigt wer ich wirklich bin. Womit ich mich beschäftige, was wichtig für mich ist. Wichtig ist nicht Ordendlich zu sein. Wichtig ist mir meine unkonventionelle Unordnung, meine Faulheit, mein Chaos.

Ich kenne viele Menschen die  Ordnung brauchen, die Ordnung im Außen gibt ihnen Sicherheit. Die Sicherheit nach hause zu kommen und alles dort wieder zu finden, wo sie es hingelegt haben. Alles hat seinen Platz.

Und ich kenne Menschen die genauso Chaotisch sind wie ich und solche die Ordentlich in ihrem Chaos sind.

Die kreativsten unter meinen Freunden sind Chaoten. Die unkreativsten sind strukturierte Ordnungsfanatiker.
Für mich hat mein Chaos viel mit meiner Faulheit zu tun.
Dieses: "Ich hab kein Bock jetzt aufzustehen" ist für mich zur Kunst geworden.

Ich muss nicht aufstehen. Ich muss nichts tun, ich kann hier sitzen bleiben während sich der Müll bis zur Decke stapelt. Es ist mein Müll, es ist ok. Ich kann auch dort am Stand auf der Bank sitzen bleiben bis ich festgefroren bin, ich habe alle Zeit der Welt.

Meine Art Faul zu sein, ist Zeitlos. Ich habe begriffen, wenn ich Stress habe, dann liegt das nicht an anderen Menschen sondern an mir selbst. Ich setze mir ein Ziel und ich verfolge das Ziel in einer bestimmten Zeit. Das ist so als würde ich mit einer Stoppuhr neben mir stehen und mit mir um die Wette rennen, wer ist schneller ich oder ich?

Diesen Stress habe ich FAST vollständig abgeschafft. Und  auch meine Frau lebt nach einem ähnlichen Prinzip, seit dem sie Pensioniert ist, wobei  sie immer noch sagt: "Das muss ich tun und das muss ich tun und dafür hab ich so und soviel Zeit" Wäre sie nicht, ich wäre womöglich noch viel Fauler.
So aber sind ihre Ziele auch meine Ziele und auch wenn ich nicht mit der Stoppuhr neben mir stehe, ihr Wecker klingelt uns beide wach.
Ich lasse es zu, das sie die Zeit vorgibt. Das ist das einzige was mich dazu bringt aufzustehen und einen normalen Tagesablauf anzustreben. Sie, meine Tochter und die Tiere, ansonsten ist die Zeit mir egal. Oder genauer, sie kann mich mal.

Wäre ich alleine, ich würde womöglich nur das Haus verlassen um Essen einzukaufen. Ansonsten würde sich mein Leben im Bett am PC  abspielen.

Ich brauche relativ wenig um Zufrieden zu sein. Ein PC der funktioniert, hin und wieder Streicheleinheiten, ein Lachen das durch die Räume schallt. Hin und wieder Meeresrauschen und Menschen mit denen ich schreiben und reden kann.

Mein Faulsein hab ich bis zur Perfektion ausgefeilt. Es funktioniert hervorragend. Als wir heute Shayas Papa zur Bahn brachten unterhielten wir uns auf der Fahrt. Ich sagte:

"Manchmal würde ich gerne wissen wie andere Menschen leben?"  Meine Frau meinte: "Sie sind bestimmt aktiver als wir, sie haben einen Job, sind Dienstags und Donnerstags im Sport, Montags im Verein, haben noch ein Pferd das gepflegt werden muss und beritten werden muss und wenn sie Kinder haben sind sie dauernd unterwegs um die Kinder von einem Ort zum anderen zu bringen".
Darauf sagte ich: "Ich bin froh dass ich faul sein kann"

Und meine Frau: "Ich auch!".

Etwas tun zu müssen, spielt sich im Kopf ab.

Was müssen wir wirklich tun?

Ich schrieb vor ein paar Monaten über das Freisein in mir selbst. Frei von Zwängen, Zensuren, Frei zu arbeiten oder eben nicht.
Das hat einige Kritiker dazu gebracht mir zu erzählen, was sie alles tun und das sie solche Menschen wie ich es bin durchfüttern, wenn nicht per Nahrung dann durch ihre Steuern.
Ja einige Leute waren richtig Sauer.

Ich habe mich daraufhin gefragt, was sie denn wirklich wütend gemacht hat. Das ich berentet bin?  Weil  ich behindert bin und nicht mehr arbeiten kann - kann es ja wohl kaum sein. Zumindest konnten sie mir keine Antwort geben, sie waren einfach Sauer, weil sie glauben mir geht es besser als ihnen, weil ich mehr Zeit habe.
Ich denke es war meine Einstellung, aus meiner Rente das Beste zu machen, nämlich einfach so zu leben wie ich Bock drauf habe. Mal eine Weile rein gar nichts tun, noch nicht mal meine Bettseite aufräumen und mal eine Weile viel tun. Dieses: "Komme was will, mir egal!"
Dieses: "Ich fühle mich in meiner Faulheit befreit".

Die meisten Menschen wären auch mal gerne faul, aber der kleine Teufel in ihrem Kopf sagt: "Du darfst das nicht!"
Er schreibt ihnen vor was normal ist und was nicht.

Faul sein ist hier zu lande Asozial. Man muss etwas tun. "Von Nichts kommt auch Nichts".

Ich habe heute Bernie gefragt wie lange er noch arbeiten will. Er geht auf die 60 zu und arbeitet noch genauso viel wie vor 25 Jahren. Er pendelt von Ausland zu Ausland und lebt aus dem Koffer. Shaya ist das einzige Beständige in seinem Leben, ansonsten hat er schon die ganze Welt bereist, immer von einem Ort zum Anderen. Und das geht so weiter von Jahr zu Jahr.
Er zuckte die Schultern und sagte: "Das würde ich auch gerne wissen!"
Sein Traum ist, im Alter irgendwo in Asien zu leben. Ein Traum den er womöglich nur ein paar Jahre erleben wird, denn wenn er wirklich bis 68 arbeitet, bleibt nicht mehr viel um in Asien ein schönes Leben aufzubauen.

Alle Menschen haben Träume, meist höre ich: "Wenn ich alt bin, dann hab ich mir ein schönes Leben aufgebaut und dann...."
Wir unterhielten uns auch über das Alter, ich sagte: "Bevor ich ins Altersheim komme, bringe ich mich um!" und er sagte: "Das machen eher Männer, wenn sie merken sie können nicht mehr so wie vorher!"
Ich verstehe das man nicht mehr leben will, wenn man nicht mehr frei leben kann. Für mich gibt es nichts schlimmeres als vollständig von anderen Abhängig zu sein. Gruselige Vorstellung.

Frauen denken dann oft an die Familie, wenn  der/die PartnerIN gestorben ist, denken sie an die Kinder, wenn die Kinder groß und aus dem Haus sind, denken sie an die Enkel.
Irgendeinen gibt es immer an dem eine Frau denkt. Männer sind da egoistischer.
Ich glaube ich wäre wie ein Mann. Bevor ich meiner Familie eine Pflege zumute geh ich lieber aus dem Leben.

Auch das ist eine Art Freiheit im Geiste. Zu wissen, das man niemanden das zumuten möchte. Windeln und Dekubitus - Nein danke!

Faulsein hat für mich viel mit Freisein zu tun.
Sich selbst keinerlei Verpflichtungen aufzulegen. Einfach so in den Tag hinein leben.

Letztens sind wir mit einer Freundin am Strand gewesen. Ich konnte nicht lange laufen, weil ich Schmerzen hatte, also setzte ich mich auf die besagte Bank. Es waren an diesem Tag viele Leute am Strand. Kinder ließen ihre Drachen steigen, meine Familie und meine Freundin liefen am Strand entlang und ich saß dort auf dieser Bank und lies das Treiben einfach auf mich wirken.
An diesem Tag musste ich dagegen ankämpfen den dreien nicht einfach hinterher zu hinken, dass Alleinsein auf dieser Bank hat mir zuerst was ausgemacht, aber je länger ich dort saß, desto entspannter wurde ich. Ich sagte mir selbst: "Genieße es doch einfach!" Und so war das dann auch. Ich genoß es einfach dort zu sitzen, während alle Menschen um mich herum etwas taten. Sie redeten, liefen, spielten, stritten, diskutierten, fuhren Fahrrad, führten ihren Hund aus, saßen 5 Minuten neben mir um dann auf die Uhr zu schauen und weiter zu gehen.
Und ich saß dort und sah wie die Wolken vorbeizogen und machte rein gar nichts außer zu sitzen und den Wolken zuzuschauen. Ich hatte alle Zeit der Welt, denn ich wusste nicht wann meine Familie und und Freundin wieder kamen.

Ich hörte das Rauschen des Meeres, schloß meine Augen und gab mich einfach diesem Gefühl des Nichtstuns hin.
Solche Momente machen mich unglaublich glücklich.
Das Nichts tun macht mich Glücklich. Das Faulsein erfüllt mich mit Freude.
Keine Uhr zu haben, macht mich Happy.

Ich habe keine Zeit ergibt einen vollkommen anderen Sinn. Ich habe keine Zeit, weil ich keine Zeit brauche. Ich könnte jetzt auf der Stelle sterben und ich würde Zeitlos sterben. Gut sterben, weil ich hier sitze und nichts tue - das heißt wenn ich gleich meinen Satz beendet habe.

Denn nach diesem Satz beendet ich das Tun. Dann bin ich wieder Faul, weil ich Lust darauf habe.
Weil Faulsein mich erfüllt.

"Vielleicht ist das etwas das sich andere Menschen nicht vorstellen können" sagt meine Frau.
"Vielleicht brauchen sie das um nicht nachzudenken"
Sag ich.

Wenn man nichts tut, sind die Gedanken und Gefühle lauter. Sie klopfen an und machen sich bemerkbar.
Die Kunst des Faulseins ist - das einfach hinzunehmen. Zu lächeln und einfach weiter dort zu sitzen, wo man gerade sitzt.

Loriot hat einen wundervollen Sketch gemacht,  in dem Herrmann einfach dort saß, während seine Frau fragte, was er denn gerade tut. Da sagte er: "Ich sitze hier"

Genau das ist es,  so liebe ich es!
Ich bin Hermann :D

In diesem Sinne
Ein Hoch auf das Faulsein.

Genießt euer Sitzen.
Herzlichst eure Andarnil




2 Kommentare:

  1. Ein wunderbarer Artikel. Wenn dieses "nichts-müssen-müssen" und eine bewusste Entschleunigung ihres Lebens häufiger stattfinden würden, gäbe es weniger Burnout-Betroffene. Die Menschen würden mehr und bessere Zeiten für ihre Familien, ihre Freunde und ihr Leben finden. Sie würden erkennen, was um sie herum und in ihrem Inneren vor sich geht, und könnten ein für sie selbst und für ihre Umwelt besseres Leben führen.
    Vielen Dank für diesen Artikel.

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