Mantra Musik

Samstag, 17. Oktober 2015

Wenn das ICH weg ist, was ist dann noch?




Dieses Bild malte vor zwei Jahren eine liebe Freundin für mich, die zeitweise sogar wie eine Mutter für mich war. Wir hatten viele Höhen und Tiefen und mittlerweile begegnen wir uns in Achtsamkeit und in einer Ruhe die ich früher nie empfunden habe.
Das ist die Ausgangsbasis die unsere Freundschaft braucht, Ruhe und Achtsamkeit.
Das ist die Ausgangsbasis die jedes Miteinander braucht.

Durch mein Erwachen, meine Ich-Losigkeit geht es mir so gut wie noch nie zuvor. Da ich ein sehr emotionaler und temperamentvoller Mensch war, war mein Leben ein einziges Hoch und Tief, ich nahm die Welt wie einen Wirbelsturm wahr. Und ich fühlte mich sehr verletzlich. Wie dieses kleine Vögelchen saß ich auf meinem Zweig. Ich traute mich nicht zu fliegen, ich hatte einfach Angst in die Höhen zu steigen. Ich hatte Angst vorm Fallen.

Ich war verletzlich, angespannt und im Grunde genommen immer auf der Flucht. Aus heutiger Sicht war meine Vergangenheit der Antrieb dieser Flucht. Wann immer ich Menschen näher an mich heran ließ, konnten sie mich auch verletzen und oft reichte nur ein einziges Wort.

Was ist nun anders?

Ich kann nicht sagen, dass ich meine Emotionalität oder mein Temperament vollständig verloren habe, nach Außen mag ich mich kaum verändert haben, zumindest sagt das meine Frau. Ich sehe noch so aus wie vorher, ich wirke Ruhiger und Gelassener, aber auch diese Phasen hatte ich schon öfter in meinem Leben. In der Begegnung mit anderen Menschen bin ich immer noch die Jo die ich davor war. Und wenn niemand wusste, das es in dieser Jo auch eine Johanna im Außen gab und im Inneren viele andere Persönlichkeiten, dann fällt es auch nicht auf, das ich nicht mehr zwitsche zwischen Jo und Johanna. Ich bin noch die die die ich war und doch auch nicht.
Die Veränderungen der Ich-Losigkeit spielen sich in meinem Inneren ab.
Die Stürme sind vorüber und das Meer ist nun geglättet.
Die Stimmen die mich seit meiner Kindheit begleiten, diese Diskussionen in meinem Kopf, das Lachen, wenn jemand in mir lachte. Das Weinen, wenn jemand in mir weinte. Die Verzweiflung, wenn jemand in mir in eine Erinnerung eintauchte die ich im Außen nachfühlte. All das ist weg.
Meine Erinnerungen an meine Kindheit ist wie in Nebel getaucht, da ist nicht das Nachhallen, von Schmerz, Trauer und ... Angst
Da gibt es kein Leid mehr, keine Wut, keine Angst.
Ich bin ein experimenteller Mensch, natürlich habe ich versucht wieder einzutauchen, ich hab mir die Bilder meiner Vergangenheit angesehen, um mich selbst zu überprüfen, ist es wirklich wahr?

Ich tauchte durch den Nebel und fühlte: Nebel. Ich kann an keiner einzigen Trauerquelle anhalten, es ist so als wäre ich niemals traurig gewesen, als hätte ich niemals Schmerz erlitten, als wäre all das was war, einem anderen widerfahren und ich war nur die stille Beobachterin der Gewalt die man mir selbst antat.
Noch vor einigen Monaten hab ich im Bett gelegen, von einem Traum erschreckt, der mir das spiegelte was vor 41 Jahren passiert ist. Ich fühlte noch die Hände an meiner Kehle. Mein Herz raste und mein Kopfkissen war nass von meinen Tränen. Ich machte das Licht an und an Schlaf war nicht mehr zu denken. Solche und andere Albträume meiner Vergangenheit waren normal für mich. Ich setzte mich an den PC, sah mir einen Film an oder schrieb einen Artikel oder Blogeintrag und der Albtraum verschwand. Was blieb war die lebhafte Erinnerung daran. 

Ich erinnere mich an alles. Das was vorher wie ein Puzzel geteilt war, ist nun ganz. Mein ganzes Leben liegt vor mir, aber es ist nicht mehr mein Leben. Es ist das Erleben einer Vergangenheit.

Ich erkläre es mir so, durch die ICH-Auflösung verloren die Persönlichkeitsanteile in mir ihre Aufgabe. Sie entstanden um den Schmerz den ich als Kind und Jugendliche erlebte aufzunehmen und mir so die Chance zu geben, all das zu verarbeiten. Mein Multisein ist eine große Gnade gewesen, die mir geschenkt wurde. Um nicht an dem zu zerbrechen, was ich erlebt habe.

Das schönste Geschenk das jemand empfangen kann, der Leid erfährt. Das was für die Medizin immer noch nicht erklärbar ist, hat sich geklärt. Ich verstehe es nun viel besser.

Ich denke das ich im Laufe meines Lebens oft das unsichtbare Tor durchschritten habe, nur war mir das nicht bewusst und aus dem Grund bin ich immer wieder zum ICH zurück gelangt.
Heute bin ich dankbar für das Leid das ich gefühlt habe.
Diese Intensität an Schmerz hat mir geholfen, den Schmerz zu verstehen.

Nach wie vor bin ich davon überzeugt, dass man die Welt nur versteht, wenn man sie erlebt. Man kann über Leid lesen, aber man erlebt das Leid nicht am eigenen Körper. Es ist so als wenn man liest was Liebe ist, wenn man sie nicht erlebt hat, sind es nur schön klingende Worte.
Für meine Spiritualität ist mein Erleben wichtig gewesen, auch das Eintauchen in das Leid. Die Grausamkeit meiner Kindheit hat mir geholfen zu erkennen, das es keine Grenzen gibt. Die letzten Zaunpfähle die ich mir durch mein Multiple sein aufgebaut habe, sind nun mit der ICH-Illusion verschwunden.

Natürlich kann man denken, auch das ist nur vorübergehend.
Ich kann hier weder Ja noch Nein sagen, es wird sich zeigen.

Ich kann mir vorstellen das ich immer mal wieder Kontakt zu dieser Illusion haben werde, alleine weil ich unter Menschen bin, die noch immer im ICH leben. Aber ich weiß nun wie es sich anfühlt, was Illusion ist und JETZT, SEIN.
Und dieses Wissen geht nicht wieder weg.

Eine Freundin fragte mich, ob ich meine Innies nicht vermisse?

Nein tue ich nicht, warum sollte ich etwas vermissen, das nie existiert hat.

Ich bin nun frei und der kleine Vogel dort oben auf seinem Ast, hat sich in die Lüfte erhoben. Und ich kann euch sagen, von dort oben sind mir die Menschen und Tiere näher als je zuvor.

In diesem Sinne...

Keine Angst ich fliege nicht davon, ich dreh nur eine kleine Runde. Wenn man frei ist, muss man keine langen Reisen machen, denn alles was ist, ist da.

Namasté
Eure Andarnil



Bildquelle: (c) Ingrid Honig


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