Mantra Musik

Gegen Gewalt - ein dunkles Kapitel - ACHTUNG es kann TRIGGERN!

18.Oktober 2015
WICHTIG:



Es ist viel geschehen. Meine Geschichte ist nun Vergangenheit. Meine Multiple Persönlichkeit ist Vergangenheit.
Ich habe diesen Eintrag vor einem Jahr und neun Monaten geschrieben. Ich lies ihn eine Weile stehen, nahm ihn dann aber wieder vom Blog, weil ich das Gefühl hatte, es ist nicht mehr mein Erleben, es ist vorbei.
Ich habe ihn jetzt wieder freigeschaltet, aus einem Grund, es erklärt die Anfänge meines Leben und auch warum ich mich heute so weit davon entfernt fühle. Damals war der Schmerz noch so fühlbar.
Heilung geschieht oft in der Stille.. und es ist sehr still in mir.

Meine Geschichte ist nur eine Geschichte von vielen Geschichten, die es hier auf dieser Welt gibt.
Sie sollte bewusst machen, was passieren muss, damit ein Kind sich trennt und nun soll sie bewusst machen, das eine Chance gibt. Das wir alles in uns tragen um uns selbst zu heilen, unsere Seele vom Schmerz und vom Leid zu befreien.

Wenn ihr also diesen Beitrag lest, dann habt im Hinterkopf - die Schreiberin die heute schreibt, ist nicht mehr dieses kleine Mädchen, das verletzt wurde. Heute bin ich ein anderer Mensch.

Ich würde mich freuen, wenn ihr nicht hier verweilt, wandert über die Zeilen der letzten Monate, erlebt mein Aufwachen aus einem langen dornigen Schlaf. Und traut euch, selbst zu erwachen denn das Leben ist so wunderschön.

Auch wenn ich euch vielleicht niemals kennen lernen werde.
Ihr seid in meinem Herzen.

Namasté
Eure Andarnil


15. Februar 2014

Gegen Gewalt

Auf meiner Facebook Seite habe ich angefangen diese Woche den missbrauchten und misshandelten Kindern zu widmen, zu denen ich einst auch gehörte.

Beim Anhören des Liedes oder lesen meiner Geschichte, besteht Triggergefahr, ich benutze auf dieser Seite keine Spoiler oder Sternchen. Also passt bitte auf euch auf!



Es gibt natürlich einen Grund warum ich das tue, ich möchte auf das aufmerksam machen, was in einem Kind passiert, welches Gewalt erlebt hat.


"Auf der Suche nach Liedern ist mir dieses über den Weg gelaufen...
Ich habe es bis zuletzt angehört. Dabei habe ich Rotz und Wasser geheult.
Ich weiß nicht woher dieser Sänger meine Geschichte kennt, sie ist nahezu identisch mit dem was ich erlebt habe. Jetzt da das Lied beendet ist, fühle ich die Stärke und gleichzeitig die Trauer in mir. Ich habe mir vorgenommen diese Woche nur über das Schweigen zu schreiben, das uns alle miteinander verbindet, ehemalige und gegenwärtige Opfer einer Gewalt die wir auch nach vielen Jahren immer wieder erleben. Es hört nicht damit auf, das er Vergewaltiger stirbt - wie in meinem Fall.

Die Erinnerungen bleiben. Manche Menschen zerbrechen daran in Tausend Stücke.
Wenn wir darüber sprechen, wissen wir nie ob man uns dann noch so sieht wie vorher als wir noch geschwiegen haben.
Wir wissen nicht ob wir wirklich anderen Menschen vertrauen schenken können.
Auch dann nicht, wenn wir durch Therapien Stabilität erlangt haben.

Unsere Welt besteht aus Gewalt, die wir einst erlebten. Diese Gewalt hinterlies Wunden und später Narben.
Auch ich habe viele Narben aus einer Zeit die schon lange vorbei ist.
Narben die manchmal so winzig und verblast sind und manchmal groß und tief.
Wenn man mich kennen lernt, sieht man mein Lächeln und hört über meine buddhistische Einstellung, die wenigsten wissen, das ich einst zerbrochen war, an dem was man mir antat. In mühseliger Kleinarbeit habe ich mich selbst zusammengefügt. Ich habe überlebt. Aber was sagt das schon über einen Menschen aus. In unserer Gesellschaft musst du überleben, das wird von dir erwartet.

Das du deinen eigenen Krieg geführt hast, sollte möglichst unbemerkt bleiben.
Ein unbequemer Mensch ist kein angenehmer Mensch.

Ich bin ein solch unbequemer Mensch.
Ich schweige schon lange nicht mehr. Die Fäden mit denen meine Lippen vernäht waren, habe ich selbst vor einigen Jahren geöffnet.

Ich habe es irgendwie überlebt.
Bin ich Glücklich?
Jetzt da ich selbst Mutter bin, eine liebevolle Familie habe die mich unterstützt, kann ich mit einem großem Herzen - ihnen zugewandt - sagen: Ja ich bin ein glücklicher Mensch...
ABER der Schmerz nach einem solchen Leid, wird nie vergehen.
Er kommt und geht in Schüben, zurückt bleibt eine Leere und würde man mich jetzt, da ich diese Zeilen schreibe am Hals berühren, oder am Rücken, oder an anderen Stellen deren Narben man kaum sieht, würde ich die Hand wegschieben, ich würde lächeln und sagen: "Lass mich mal schreiben Schatz!" oder "Ich kann gerade nicht Mausi, später!"

Meine Familie kennt diese Reaktion, es gibt Momente, da sind Berührungen wie heiße Zangen... "

DAS hier ist meine Geschichte.

Lebenslauf (stark verkürzt):



Geboren bin ich 1965 in einem kleinen Dorf im Taunus. Mein Leben fing bereits mit einem Gewaltakt an. Ich wurde kurz nach der Geburt im Krankenhaus “vergessen”! Nachdem einige Wochen vergangen waren und das Klinikpersonal endlich einen Verwandten von mir ausfindig machen konnten, kam ich zu meinem Vater. Meine Mutter war zu dieser Zeit nicht auffindbar. Da er keine Ahnung hatte, wie er mit einem kleinen Säugling umzugehen hatte, lies er mich einfach im Bett liegen und verschwand ebenso. Ich war vergessen und nur der Umstand dass mich Nachbarn irgendwann nicht mehr Weinen hörten, lies mich am Leben.

Kurze Zeit nachdem ich Leblos in meinem Bett gefunden wurde, holte mich meine Oma zu sich und dort blieb ich etwa bis zu meinem vierten Lebensjahr.

Als ich etwa vier Jahre alt wurde, gedachten meine Eltern wieder an mich. Ich hatte zu dieser Zeit bereits zwei Geschwister und meine Mutter war wieder schwanger. Sie holten mich zu sich und ich kann mich erinnern, dass ich in meiner ersten Nacht von meinem Vater vergewaltigt wurde. 
Meine Mutter war schwanger und mein Vater brauchte Sex. So einfach war das. Ich erinnere mich:


Ich hatte rote Strumpfhosen und schwarze Riemchensandalen an als ich vergewaltigt wurde. Ich weiß dass mein Vater sagte ich solle Ruhig sein und mich nicht so “zieren”. Ich weiß noch dass meine Mutter meine Beine festhielt als er mich vergewaltigte. Ich erinnere mich noch an den Schmerz. Ich bin ohnmächtig geworden. In dieser Nacht spaltete sich meine Seele. Und seid dieser Nacht habe ich MPS (Multiple Persönlichkeitsstörung/Multiple Persönlichkeits Syndrom).
Damit hörte mein Missbrauch nicht auf. Im Gegenteil, mit dieser Vergewaltigung fing mein Missbrauch erst an. Ich weiß nicht wie ich Überlebt habe,  ich weiß nur noch dass meine Mutter mich danach wusch und mir ein neues Nachthemd anzog. Und die ganze Zeit sagte sie, ich sei nun Papas kleines Mädchen.
Als meine Mutter dann einen kleinen Jungen gebar, wurde alles nur noch schlimmer. Mein kleiner Bruder durfte nicht schreien, als er eines Tages doch schrie, nahm mein Vater das Baby aus dem Bettchen. Ich stand zu diesem Zeitpunkt am Treppenaufgang und als mir mein Vater zurief: “Fang!” dachte ich er wirft mir eine Puppe zu. Ich war noch zu klein um wirklich zu fangen, und so prallte mein kleiner Bruder von mir ab und fiel mir direkt vor die Füße. Er hörte auf zu weinen. Seid dem ist er Geistigbehindert. Auch er hat es Überlebt.

Zwischen meinem 7 und 9 Lebensjahr, bekamen meine Eltern immer wieder Besuch von ihren Freunden. Menschen mit Tätowierungen. Ein Mann hatte eine Tätowierung auf seinem Penis. Sein Name war Klaus. Einmal fragte er mich ob ich ein Zauberkunststück sehen möchte. Ich sagte ja. Und so zeigte er mir seine Tätowierung die sich, dadurch dass sich sein Penis vergrößerte veränderte, aus Marie wurde Marieanne.
Etwa zur gleichen Zeit wurden meine Geschwister und ich Fotografiert. Wir mussten uns ausziehen und uns gegenseitig Streicheln. Irgendwann kamen die Freunde  unserer Eltern dazu, diese Szenen wurden gefilmt und fotografiert. Ab da war ich nicht nur „Papas kleines Mädchen“, sondern auch das kleine Mädchen seiner Freunde. Ich “schlief” nun nicht nur mit meinen Geschwistern, sondern auch mit den Freunden meines Vaters. Ein Freund hieß Mike, den Namen des anderen habe ich vergessen. Im Laufe der Zeit (wie lange das ganze anhielt weiß ich nicht), kamen auch einige Kinder hinzu, Kinder der Freunde meiner Eltern, aber auch fremde Kinder. Kinder die wir trösten mussten, wenn sie weinten. Eine Freundin brachte ihre Tochter mit. Sie hieß Annabell.
Die Bilder wurden zu einem kleinen Katalog gebunden und in der Nähe unseres Wohnortes im Wald deponiert. Eines Tages fanden wir “unsere” Aufnahmen beim Spielen am Bach. Meine Geschwister und ich zerrissen die Kataloge, doch Tage später wurden wieder neue produziert.
Als ich etwa zehn oder elf Jahre alt wurde, starb Annabell. sie wurde in der Badewanne ertränkt. Ihr Vater kam dafür ins Gefängnis.

Ich habe viele Erinnerungen die zeitlich nicht eingrenzbar sind, hier einige davon:

 -Ich wurde nachts von meiner Oma geweckt und in ein Taxi gesetzt. Mein Vater wartete vor einem Haus. Er bezahlte den Taxifahrer und brachte mich in einem Raum, in diesem standen Pinkfarbene Sessel mit roten Herzkissen. Er gab mir Sekt zu trinken, damit ich lockerer wurde. Dann kam ein junges Mädchen und kümmerte sich um mich. Meine Mutter beschäftigte sich mit einem Dunkelhäutigen Mann. Das Mädchen brachte mich irgendwann zu diesem Mann.-
Ich weiß nicht wie ich wieder Nachhause kam. Meine Oma verbrannte meinen blauen Mantel im Küchenofen, weil er “schmutzig” war.
 -Ich lief eines Nachts davon. ich hatte nur ein Nachthemd an und war barfuß. Es war Winter. Es schneite. Ich lief in den Wald um mich dort zu verstecken. Ich hatte furchtbare Angst und es war so kalt. Ich krabbelte tief in den Wald und versteckte mich unter einer Fichte, deren Nadeln bis zum Boden reichten. Dort hatte ich einen weichen Platz gefunden. Ich legte mich hin um zu schlafen. Irgendwann wurde ich wachgerüttelt und man leuchtete mir mit einer Taschenlampe in die Augen. Man hatte mich gefunden.
 -Mein Vater ging im Sommer jeden Morgen um vier Uhr mit uns in den Wald. Er nahm seine Pistole  und sein großes Messer mit. Ich kann mich nur an Bruchstücke erinnern:
Im Wald machte er “Schießübungen” - Wir mussten uns ausziehen - Wir hatten Angst, oft war es noch Dunkel und wir hatten Schmerzen.
Andere Erinnerungen habe ich nicht. Aber ich vermeide möglichst jede Art des Spaziergangs. Ich liebe die Natur, aber am liebsten betrachte ich sie mir durch das Innenfenster eines Autos. Nur selten bekommt man mich dazu spazierenzugehen, oder Wald und Wiese nur zu betreten. Dies ist für mich nicht einfach zu erklären, da ich ein sehr Naturliebender Mensch bin...
 Als ich etwa neun Jahre alt war, versuchte sich meine Mutter zu erhängen. Sie wurde durch meine Schwester und mich gefunden. Ihr Gesicht war blau angelaufen und ihre Zunge hing aus dem Mund. Ihre Augen waren offen und nach oben gerollt. Wir liefen zu Oma. Oma und eine Nachbarin hängten meine Mutter ab. Meine Schwester schrie furchtbar. Ich dagegen war ganz ruhig und sagte nur:
“Hör auf zu schreien, sie ist Tot!”
 Nur war sie nicht tot. Als mein Vater kam, konnte meine Mutter schon wieder laufen. Sie erzählte ihn, dass sie sich wegen mir das Leben nehmen wollte. Sie würde mich hassen und sie wünschte ich wäre verreckt. Mein Vater wurde wütend und schlug sie. Doch sie schrie immer wieder: “Ich will das dieses hässliche Balg stirbt!” Irgendwann drehte mein Vater durch. Er kam zu uns ins Kinderzimmer und schlug auf mich ein, dann würgte mich so lange bis ich Ohnmächtig wurde. Danach warf er mich aus dem zweiten Stock unseres Hauses.  Nachbarn die dies mitbekamen riefen die Polizei. Ich weiß nicht wie ich das überlebte, noch weiß ich was danach passierte. Das nächste an das ich mich erinnere war die Fahrt zu meinen Pflegeeltern. 
Wie ich später erfuhr, kam mein Vater in die Psychiatrie. 
Meine Pflegeeltern bekamen keinen Kontakt zu mir, ich sprach nicht und war nicht bereit mich anfassen zu lassen. Ich schrie wenn mich jemand berührte. Mein Pflegebruder machte sich daraus seinen Spass, indem er mich immer wieder am Rücken und Hals berührte und ich dann wie wild anfing zu schreien und um mich zu schlagen. Er fand das sehr Lustig.
Nach etwa einem halben Jahr wurde ich mit meiner Schwester ins Heim gebracht. Doch dort blieb ich nicht sehr lange. Kurze Zeit später holten mich meine Oma und mein Vater (von dem ich nicht wusste, das er mein Vater war) wieder zurück “Nachhause”. Und mein Martyrium fing von vorne an.


Der sexuelle Missbrauch hörte erst auf als ich etwa 16 Jahre alt war. Meine Schwester und ich wurden bei einem Diebstahl erwischt. Die Polizei brachte uns Heim. Mein Vater verlangte von uns, dass wir vor Gericht aussagen sollten, die Verkäuferin hätte uns die gestohlene Ware zugesteckt. In der Nacht haute ich mit meiner Schwester von Zuhause ab. Ich nahm mir 100 DM aus dem Portemonnaie meiner Oma und kletterte aus dem Toilettenfenster. Wir rannten durch den Wald bis zur nahegelegenen Bundesstraße. Dann gingen wir immer am Randstein der Straße entlang. Hin und wieder nahmen uns Autofahrer mit. Doch die meiste Zeit liefen wir. Als es Morgen wurde, wollte meine Schwester umdrehen, es regnete und wir waren klatschnass und müde. Aber ich lief weiter, ich hatte kein Ziel aber ich lief und lief und meine Schwester lief weinend hinter mir her.
Als es 10 Uhr wurde, nahm uns ein Lastwagenfahrer mit. Er fragte nicht viel. Nach einer halben Stunde fahrt setzte er uns an einer Autobahnraststätte ab. Und dort empfingen uns bereits Polizisten.

Die Polizei war sehr nett und verständnisvoll, nur leider konnten sie nicht viel für uns tun. Denn wir sprachen nicht. So verständigten sie das Jugendamt. Die Leute vom Jugendamt brachten uns dann auch wieder zurück zu unseren Eltern.

Mein Vater empfing mich mit den Worten: “Du bist tot!”
Ich sagte daraufhin: “Bring mich um, oder mach sonst was mir mir, es ist mir egal. Ich bin tot, na und!”
In der Nacht darauf wollte er mich wieder missbrauchen, ich hatte mir ein Küchenmesser unter mein Kissen gelegt. Und als er kam, zog ich es hervor. Ich sagte nur: “Entweder sterbe ich, oder du. Einer von uns beiden krepiert!”
Er lachte und schlug wie wild auf mich ein und brüllte nur: "Ich bring dich um!" Ab da wieder Filmriss.


Etwas später wurde ich Punk, und nahm Drogen. Ich machte meine erste Therapie und mein Therapeut verschrieb mir Valium! Ich betrachtete ihn als Drogenbeschaffer. Als ich 17 Jahre alt wurde, hatte ich drei Selbstmordversuche hinter mir und wollte mir den goldenen Schuß setzen. Doch einen Tag zuvor lernte ich meinen Ex-Mann kennen. 1983 hatte ich meinen Entzug. 



Und bei meinem Ex-Mann wurde Multiple Sklerose diagnostiziert.
Im gleichen Jahr hatte ich meinen ersten Flashback. Ich erinnerte mich an meine erste Vergewaltigung, siehe oben.
1986 hatte ich meine erste Fehlgeburt. 1988 hatte ich meine zweite Fehlgeburt. Ich träumte von einer Beziehung mit einer Frau. Doch ich hatte Angst davor. 1990 heirateten wir, obwohl ich meinem Ex-Mann sagte, dass ich Lesbisch sei. Er glaubte mir nicht. 1995 hatte ich meine dritte Fehlgeburt. Ich war im fünften Monat schwanger, als ich durch eine Sturzgeburt mein kleines Mädchen verlor. Ich wäre beinahe verblutet. Die Ärzte sagten mir, dass ich keine Kinder bekommen könne. Meine Gebärmutter sei zu stark stark vernarbt.
Kurz nach dieser Fehlgeburt machte ich meine zweite Therapie. Es war eine Gesprächstherapie die mich nicht weiterbrachte, zu diesem Zeitpunkt dachte ich die Wände rücken näher. Ich litt unter starken Depressionen und Fashbacks. "Wachte" an unterschiedlichen Orten auf, ohne mich zu erinnern, wie ich dorthin gekommen war. 

Als ich 1990 meinen Ex-Mann heiratete, war  er bereits so stark behindert dass er einen Rollstuhl brauchte um sich fortzubewegen.  Ich wollte und konnte ihn nicht mehr verlassen.

1995 machte ich die dritte oder vierte Therapie. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon einiges mit Therapeuten erlebt. Eine Therapeutin schickte mich Nachhause, weil sie keine Frau mit Missbrauchserfahrung therapieren wollte. Eine Therapeutin meinte, nachdem ich ihr meine Geschichte erzählt hatte, ich sei eine gute Schauspielerin und eine Therapeutin sagte mir nach einer Weile sie hätte keinen Platz mehr frei. Ich solle mir einen anderen Therapeuten suchen. Ich war verzweifelt, wütend und dachte wieder an Selbstmord. Ich vergaß alles. Zeitweise wusste ich noch nicht einmal meinen Namen. Ich “wachte” im Bus auf und wusste nicht wohin er fuhr. Ich unterhielt mich mit Menschen und plötzlich wusste ich keinen einzigen vorherigen Satz. Ich vergaß meine Adresse, meine Telefonnummer. Ich hatte keine Ahnung wer die Menschen waren die mir begegneten und die mich angeblich kannten. Und ich hatte furchtbare Albträume.
Nachdem meine Albträume so schlimm wurden, dass ich Nachts überhaupt nicht mehr schlief (Ich hatte es zu sieben wachen Tagen und Nächten gebracht!) suchte ich mir eine Therapeutin aus dem Telefonbuch. Dann rief ich bei ihr an und sagte: “Ich glaube ich habe eine Multiple Persönlichkeitsstörung, wenn sie nicht wissen, was das ist, leg ich wieder auf!”

Meine Therapeutin sagte: sie wisse was eine MPS ist und ich soll doch erst mal vorbei kommen.
Bei dieser Therapeutin blieb ich einige Jahre. Über MPS haben wir so gut wie nie gesprochen. Sie meinte nur einmal zu mir: "Wenn sie darüber sprechen, werden sie in der Psychiatrie landen!" Also schwieg ich. 1995 machte ich ein Psychologie Studium. Beendete es aber nach dem dritten Semester.  1996 beendete ich die Therapie bei meiner Therapeutin und im gleichen Jahr trennte ich mich von meinem Ex-Mann.
1998 lernte ich meine jetzige Lebenspartnerin kennen. 1999 wurde ich geschieden und  bekam erneut einen Flashback. Und unglaubliche Schmerzzustände. Ich kam von einer Klinik in die nächste. Man fand keine Ursache für diese Schmerzen. Ich konnte zeitweise nicht laufen, nicht schlucken. Mein Asthma wurde schlimmer. Ich dachte ich sterbe. Die Ärzte vermuteten einen Hirntumor oder Aids. Die Ärzte fanden Yersinia Pestis, den Auslöser der Pest in meinem Blut und waren ratlos.
1999 kam ich in eine Rheumaklinik. Dort wurde Fibromyalgie, Osthochondrose und Spondylathorose diagnostiziert. Man fragte mich nach meinen Narben, nach meiner Kindheit. Nur zögernd sprach ich das erste Mal offen über meinen Missbrauch. 

Während dieser Zeit schrieb ich ein Gedicht für meine Frau, aus Trauer und aus Dankbarkeit für ihre Unterstützung und ihr Verständnis, das mich all die Jahre begleitet hat und immer noch begleitet:

Angst (Warum...)

Ich schaue in eine alte Welt,
mitten in der Nacht, wenn Schnee zum Fenster fällt.
Ich sehe mich winzig und klein,
sage flüsternd ein Abendgebet:
Mein Herz ist gut, meine Seele rein.

Und finde mich wieder in dunklen Gedanken,
mich verzweifelnd halten an alten Ranken.
Ich höre noch Schreie, die ich niemals schrie,
spüre die Schmerzen, fühle wie ich ich fiel.
Entzünde eine Kerze, für das Kind in mir,
dass nun nicht mehr einsam ist,
denn es ist jetzt hier.

Und ich sehe in mein Gesicht,
von Tränen ganz nass.
Sehe die Fußspuren noch im feuchten Gras.
Sehe das Messer in meiner Brust.
Höre die Worte, dass ich artig sein muss...

Und ich sage doch heute,
was mich einst schweigen ließ:
Es tut so weh, warum all dies?
Warum muss ich fühlen
was damals war,
um zu verstehen?
Warum kann ich mich nicht einfach
umdrehen und gehen?
Warum ist die Vergangenheit auf einmal da,
wo Gegenwart ist und Zukunft so nah?
Warum bin ich traurig,
wenn ich doch Glücklich sein will?
Warum schreie ich nicht laut,
sondern weine nur still?

Warum lächelt das Kind in mir so süß?
Weiß es denn nicht,
das es I. hieß?
Nein, I. wusste nie wer sie wirklich war;
Weiß sie es nun, ist es jetzt klar?

Woher bekomme ich die Antworten
auf all meine Fragen?
Kann mir jemand helfen?
Kann es mir jemand sagen?

Finde ich wieder zurück aus diesem Labyrinth?
Wo Frau erscheint und verschwindet das Kind?
Wo ich wieder ... Jahre alt bin...

Ich habe Angst und weiß nicht warum,
denn was einmal war, ist schon lange rum.
Ich sehe die Spinnen
aus den Schranktüren Krabbeln.
Sehe mich weinend
in starken Armen zappeln.
Sehe wie ich einst an den Schmerz
von heute zerbrochen bin.
Ich sehe nicht weg, sondern sehe hin!

Und weiß nicht
ob ich das alles noch einmal ertrage.
Darum bitte beantwortet mir doch die Frage:
Warum?

Warum musste ich all das erleben?
Ich kann niemals vergeben,
niemals werde ich still halten,
wenn jemand mich schlägt.
Mich tritt, meinen Körper zersägt.
Mich für seine Zwecke missbraucht.
Mich vergewaltigt,
mir seinen faulen Atem einhaucht.
Mich benutzt, mich beschmutzt,
mich zwingt, mich umringt.
Mich zerstört, mich verhört.
Mich vergessen lässt
wer ich wirklich bin.
Wo liegt die Menschlichkeit
in diesem Sinn?

Wo bin ich unter all dem begraben?
Wer bin ich wirklich,
kann mir das irgendwer sagen?
Schweigen um mich herum,
wie damals als ich nicht reden kann.
Ich war noch so klein,
in ihren Augen so dumm.
Benutzt von Frau!
Benutzt von Mann!

Wo sind sie heute?
Was werden sie denken,
wenn sie diese Zeilen lesen?
Sie waren die einzigen,
die wussten wer ich einst gewesen.
Aber heute sind sie tot, oder alt und krumm.
Sie werden bestimmt nicht mehr wissen,
wissen warum...

Warum lächelt das Kind in mir so süß,
weiß es denn nicht das es I. hieß?

Werde jetzt schlafen gehen.
Es ist schon Morgen.
Wenn die Sonne erwacht,
fühle ich mich geborgen.
Die letzten Stunden sehe ich
in dein schönes Gesicht
und ich denke wie sehr doch
liebe ich dich!
Das gibt mir Kraft
für den neuen Tag,
der die alten Wunden
überdecken vermag.
Die Narben,
die niemand gern sehen will.
Die streichelst du sachte, sanft und still.

Ich verstehe nun
warum das Kind in mir lacht.
Du bist da, wenn es wieder erwacht!
Ich bin nicht mit meinem Schmerz allein,
du bist da, wirst auch dann noch bei mir sein!
Ein Mondengel, der mir die Flügel ausleiht,
mich tröstet, mich hält,
mich von all dem befreit;
was noch fragend sich Wege bahnt.
Du hilfst mir beim aufstehen,
reichst mir die Hand,
du bist da...

Danke

Für Britt


2001 bekam ich einen Platz in einer Traumaklinik. Dort wurde Posttraumatische Belastungsstörung, Depression, Asperger Syndrom, MPS/DIS diagnostiziert. Als ich wieder entlassen wurde, ging ich weiterhin zu meiner Therapeutin, die mich in der Klinik betreute.


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2002 heirateten meine Lebenspartnerin und ich standesamtlich. 2003 schloss ich meine Therapie bei meiner  letzten Therapeutin ab.  Seit dem geht es mir gut. Ich lernte mit meinen Persönlichkeiten zu leben. Sie anzuerkennen als Teile von mir. 
2007 kam unsere Tochter zur Welt. Manchmal kommen die Erinnerungen und ziehen an mir vorbei wie eine Schlechtwetterfront, hinterlassen eine Weile Schmerz und Trauer und dann gehen sie wieder. 

Heute:

Das Leben mit MPS ist kein einfaches Leben.
Ich hatte heute Nacht wieder einen Fashback. Ich Johanna erinnere mich kaum daran. Aber es gibt Innenpersonen die aus diesem Grund nicht mehr schweigen können  und wollen.
Ich oute mich heute das erste Mal öffentlich. Die Kraft dazu verleiht mir mein Inneres, dass mich all die Jahre beschützt hat, das mir die Möglichkeit gab zu überleben.
Ich oute mich als multiple Persönlichkeit, weil alles in mir danach schreit gesehen zu werden, anerkannt zu werden und erhört zu werden.
Ich oute mich aus einem Grund der Wertschätzung, die ich für meine Innenpersonen, meine Außenpersonen, meine Familie und meine Freunde empfinde.
Es wird Zeit das ihr erfahrt wer ich wirklich bin - ich bin eine von vielen. Und Teile davon habt ihr bereits kennen gelernt. 

Ich habe mich oft sehr verloren gefühlt, aber nie als Opfer,  vielleicht auch deshalb nicht, weil ich stark genug war, all das zu überleben. Den Schmerz der Vegewaltigungen, die Misshandlungen an meinem Körper und meiner Seele, die zwei Mordversuche meines Vaters, die mir bekannt sind.
2011 erfuhr ich vom Tod meines Vaters, ich empfand erst nichts, dann eine leise Spur von Freude und abgelöst wurde diese, von Erinnerungen und Mitgefühl -  für seine Seele, wie für die Seelen derer die er einst missbrauchte.

Leise formten sich die Worte in meinem Geist:
Möge seine Seele Frieden finden.

Ich bin heute das, von dem er nie auch nur die Spur wusste, wie es sich anfühlt -

Ich bin ein glücklicher Mensch!

Februar 2014

Johanna

Mein Blog zum Viele-Sein:
http://viele-sein.blogspot.de/




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