Ich kann noch nicht mal sagen, warum ich geweint habe, es war keine Trauer, es war vielmehr das Gefühl gerne trauern zu würden. In dem Moment als ich es erfuhr, kamen viele Gefühle hoch, Gefühle die ich eigentlich schon vergessen hatte, ich hörte in Gedanken ihre Stimme: "Ich hasse dich, hasse dich, hasse dich... " Ein endloses Echo.
Auch auch solche Sätze wie: "was für ein hässliches Balg du doch bist und so was hab ich geboren" Und dann dieses hochziehen der Spucke und ausspucken, direkt in mein Gesicht.
Worte konnten mir damals kaum noch was anhaben, aber diese Spucke, ich habe mich so dermaßen geekelt und doch habe ich mich gezwungen ihr in die Augen zu schauen, wunderschöne grüne Augen in einem hasserfüllten Gesicht.
Ich hat mich unglaubliche Überwindung gekostet, für manche Autisten ist das die Hölle in die Augen anderer Menschen zu schauen und darin zu versinken, tiefer und tiefer... die komplette Emotionswelt des anderen zu sehen, zu erkennen, zu fühlen.
Ich schaff das schon ganz gut, ich konzentriere mich auf die Augenlieder, die Augenbrauen, auf die kleinen Falten unter den Augen.
Manchmal nervt mich meine Frau, weil sie sagt: "Jo schau mir in die Augen" Sie verlangt dann Blickkontakt, weil sie sich dadurch erhofft, dass ich dann besser für sie erreichbar bin.
Bin ich auch... aber es nervt mich trotzdem.
Zurück zu meiner Mutter.
Als ich erfuhr das sie tot ist, kam mir sofort ein Gedanke:
Die Zeit des Verzeihens ist vorbei
Die Zeit des Vergessens beginnt jetzt.
Es gibt nichts mehr zu verzeihen, ich kann einfach aufhören. Alles was ich jetzt noch tun muss ist sie und alles um sie herum vergessen. Ich vergesse ihre Stimme, ihr Gesicht, ihr Verhalten, ihren Hass, ihre Lieblosigkeit, ihre Wut, ihre Gewalt, ihre Zerbrechlichkeit, ihre Stärke, ihre Schwäche, ihre Dummheit, ich vergesse das sie Analphabet war, ich vergesse das sie keine Ahnung hatte wer das ist: Shakespeare, Wild, Poe, Descartes, Aristoteles, Heine und wie sie alle hießen die großen Philosophen und Schriftsteller.
Meine Mutter hat womöglich noch nie ein Buch in der Hand gehabt, dafür konnte sie Saufen bis zur Ohnmacht.
Ich vergesse das sie so dünn war wie ein Streichholz und wie wir sie erhängt fanden, ich vergesse ihre langen Spinnenfinger die nach mir griffen, die gelben Zähne mit den Zahnlücken. Ich vergesse ihren Geruch nach Spülmittelhänden und Palmolive Seife. <
Ich vergesse Toxi, die Geschichte die sie uns erzählte als wir noch klein waren, die Geschichte eines dunkelhäutigen Weisenmädchens, dass von niemanden geliebt wurde und als 12 Jährige schon auf den Strich ging. Ihre Geschichte.
Ich vergesse die Dessous die im Schritt offen waren und die hochhakigen Schuhe, ich vergesse den Raum mit den Pinkfarbenen Plüschsessel und meinen hellblauen Mantel. Und den Geruch und den Gestank nach Pisse und Sperma.
Ich vergesse ihren Gesang: "Ingrid, Gridilein, Stinkgrid, Flitchen, Hässlich Kind" wenn sie mich ärgern wollte.
Ich vergesse die Kämpfe die wir uns geliefert haben, angefeuert von Fremden und meinen Geschwistern. Ich vergesse meine Wut auf sie und die Ohrfeige die ich ihr einmal gab, als sie das letzte Brot vor uns aufaß und lachte obwohl wir seit Tagen hungerten.
Ich vergesse ihr Lachen und ihr weinen, als ihr ungeborenes Baby in meinen Armen starb.
Es gibt unendlich viel was ich vergessen muss.
Ich habe noch Zeit, noch ein paar Jahre, bis nichts mehr von ihr da ist, von ihr nicht und von ihm nicht. Ich habe noch Zeit alles zu vergessen.
Ich vergesse die Dessous die im Schritt offen waren und die hochhakigen Schuhe, ich vergesse den Raum mit den Pinkfarbenen Plüschsessel und meinen hellblauen Mantel. Und den Geruch und den Gestank nach Pisse und Sperma.
Ich vergesse ihren Gesang: "Ingrid, Gridilein, Stinkgrid, Flitchen, Hässlich Kind" wenn sie mich ärgern wollte.
Ich vergesse die Kämpfe die wir uns geliefert haben, angefeuert von Fremden und meinen Geschwistern. Ich vergesse meine Wut auf sie und die Ohrfeige die ich ihr einmal gab, als sie das letzte Brot vor uns aufaß und lachte obwohl wir seit Tagen hungerten.
Ich vergesse ihr Lachen und ihr weinen, als ihr ungeborenes Baby in meinen Armen starb.
Es gibt unendlich viel was ich vergessen muss.
Ich habe noch Zeit, noch ein paar Jahre, bis nichts mehr von ihr da ist, von ihr nicht und von ihm nicht. Ich habe noch Zeit alles zu vergessen.
Vergessen
Es sind die Erinnerungen die wir uns holen, immer wieder und wieder, die uns das Leid präsent machen. Sind die Erinnerungen weg, ist auch unser Leid verschwunden.
Es sind die Erinnerungen die Trauer tragen, schwarz und sumpfig, die uns einhüllen wie Spinnweben, uns die Sicht in die Gegenwart versperren.
Es sind die Erinnerungen die uns das atmen erschweren.
Die Erinnerungen an Eltern die nie Eltern waren, an Verbrechen und Kriege, an Schmerz und Vergeltung, einstürzende Türme und hasserfüllte Visagen, an Inseln die unter gingen und Menschen die vergiftet wurden, an Tot und Mord und Grauen, an Rinnsale voller Blut und Eiter und Kot.
Die Erinnerungen an süsses und saures, an Traditionen und Rituale, an alte Fotos und neue Gemälde. Brennende Gebäude und sinkende Schiffe.
Wir Menschen wollen alles Dokumentieren und Aufbewahren, wir wollen Sammeln und Archivieren.
Es sind die Erinnerungen die uns nicht erwachsen werden lassen, weil wir immer noch das Kind suchen, das wir nie waren.
Es sind die vielen vielen Erinnerungen an Zeiten die wir in uns tragen und wir erklären es immer und immer wieder so, als sei es notwendig, weil sie uns zu dem machen was wir sind.
Dabei wären wir auch die die wir sind, hätten wir diese Erinnerungen nicht.
Kein Mensch muss dauernd daran erinnert werden, an den Verlust und die Angst, an das Verbrechen an ganzen Völkergruppen, an die Hautfarbe die falsch ist, oder die Sexualität, die Politik, die Lüge, das falsche Datum, das falsche Zeugnis, das falsche Geständnis.
Kein Mensch braucht Gedenktafel oder Orden, oder irgendwelche Einträge in irgendwelchen Notizblöcken. Wenn wir endlich anfangen würden zu vergessen, würden wir alle heilen können.
Neuanfangen. Neu Erfahren. Neu fühlen, neu berühren. Neu aufbauen und neue Bilder malen um sie neu zu zerstören.
Es sind die Erinnerungen die festhalten und knebeln, kratzen, und krallen, ketten und kleben.
Ich muss vergessen!!!Ich werde vergessen.
Als mir klar wurde das es immer und immer nur die Erinnerung ist, die Leid mit sich bringt, immer nur das was vergangen war, wurde mir auch klar, das ich nicht viel brauche um all das Gehen zu lassen. Nur eine Entscheidung, mehr nicht.
ICH WERDE VERGESSEN.
Es ist immer noch ein merkwürdiges Gefühl, dass die Monster meiner Vergangenheit alle tot sind.
Es ist gut.
Ich bin die Monster meiner Vergangenheit endlich los.
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