Mantra Musik

Sonntag, 14. Juni 2015

Tagebuch - Komm gut an....



Ich bin gerade zwischen den Welten, seit Gestern kommen die Tränen und ich lass sie fließen und zwinge mich dazu zu lächeln. Ich hoffe darauf das irgendetwas passiert das mich zum lachen bringt.
Jemand ist gestorben den ich sehr geliebt habe. Er war witzig und man konnte wunderbar mit ihm reden, dabei sah er einen mit großen Kulleraugen an und sein Mund stand immer einen kleinen Spalt offen. Das sah so witzig aus, das ich sofort anfangen musste zu lachen. Er hat mich immer zum Lachen gebracht, mit seiner Art. Er war total sozial und sehr liebevoll. Ein toller Freund.
Und er wird mir unglaublich fehlen.
Er fehlt mir unglaublich.

Mir ist das schon lange nicht mehr passiert, dass mich der Tod so mitgenommen hat. Ich kann Menschen und Tiere gehen lassen. Es tut immer weh, aber ich kann sie gehen lassen. Hier geht es mir so, dass ich die Zeit zurück drehen will, ich will die schönen Momente noch mal erleben. Wenn ich die Augen schließe sehe ich ihn, wie er auf mich zugehumpelt kommt, ich höre ihn, wie er nach mir ruft. Ich fühle ihn noch, seine Anwesenheit, er fehlt nicht nur mir, er fehlt jeden der ihn kannte. Er gehörte einfach zu uns und es ist so still ohne ihn.
Ich weine seit gestern, fast ununterbrochen und ich lass alles heraus, was nur geht und ich wundere mich das ich überhaupt noch Tränen habe, eigentlich müssten sie versiegt sein.

Wirkliche Freunde zu verlieren ist nicht einfach, da gibt es so viele Erinnerungen aus gemeinsamen Zeiten, da sind noch die Gerüche in der Luft, die Eigenheiten des anderen, die kleinen Streiche die man sich spielte. Da gibt es so viel das sich verband und so viele Unterschiedlichkeiten.

Zwischen den Welten

Ein Teil von mir ist mit seinem Tod einverstanden, zu begreifen, das alles einen Sinn ergibt und er so gestorben ist, wie er lebte ist wie ein kleiner Trost. Es hat einfach zu ihm gepasst. Ich habe mir nie darüber Gedanken gemacht wie er hätte sterben sollen. An so was denkt man nicht, man stellt es sich vielleicht für sich selbst vor: "Vielleicht sterbe ich an Krebs, oder an einem Autounfall, oder..." aber man denkt doch nicht daran wie die Freunde oder die Familie stirbt.
Beim Tod hören die Vorstellungen auf, es gibt kein Danach mehr.
Gestern morgen war er noch da und Gestern Abend war er weg. Für immer weg. Was noch bleibt sind die kleinen Spuren von ihm, die Erinnerungen, vielleicht finde ich irgendwann etwas das ihm gehörte und ich kann lächelnd sagen: "Guckt mal erinnert ihr euch?"
Momentan ist es nur bedrückend zu wissen, er kommt nicht mehr.
Und doch ist da die Gewissheit das der Tod kein Ende ist, es ist nur eine andere Dimension. Ein hinübergleiten in eine andere, uns Lebenden, völlig fremde Welt.
Gestern habe ich mit meinem buddhistischen Freund, einen Mönch darüber gesprochen und er sagte: "Ihm geht es jetzt gut, er ist frei!"

An diese Art von Freiheit glaube ich, ich glaube daran, das der Tod jeden Schmerz, jedes Leid und jede Anbindung an dieses Leben beendet. Er gibt das frei was wir Lebenden noch festhalten, dieses Band an dem wir anhaften wie ein weich gewordener Kaugummi.

Das ist die eine Seite, die andere ist Schmerz. Es tut so unglaublich weh. Dieser Klos in meinem Hals, das Gefühl in meinem Solarplexus, mein Herz zieht sich zusammen. Mein Glaube ist mein Trost, denn kein Mensch schaft es gerade mich zu trösten. Meine Frau versucht es schon seit gestern und auch meine Tochter. Es ist so als wäre ich gerade eine Hülle und der wahre Kern in mir ist Wasser. Ich fließe aus.
Ich atme aus und spüre die Schwere, ich atme ein und fühle mein Herz. Ich schließe die Augen und sehe ihn vor mir und ich öffne die Augen wieder. Meine Nacht war kurz, irgendwann bin ich mit ihm vor meinen Augen eingeschlafen.
Und mit ihm vor meinen Augen wieder erwacht.

Ich lasse den Schmerz zu und ich weiß das meine Frau mich deshalb bewundert, weil sie nicht weinen kann, sie erlebt den Schmerz in Distanz, denn würde sie weinen, würde sie nicht mehr aufhören können. Sie denkt sie verliert ihre Stärke, ihre Kontrolle dadurch. So erleben wir beide unterschiedlich diesen Abschied, jeder für sich und doch gemeinsam.

Der Tod meines Freundes hat viele unterschiedliche Gefühle in mir ausgelöst, die sich nach und nach ordnen werden. Sein Tod ist eine Erfahrung die weitere Erfahrungen mit sich bringen wird, das ist gut und richtig. Seit Tod hat etwas eingeläutet, das ich fühle. Eine große Veränderung in meinem Leben. Vielleicht nicht sofort, aber solche Veränderungen sind unaufhaltsam, irgendwann kommt der Moment der Entscheidung. Es ist als würde man ein Bauklötzchen über das andere stapeln, ohne zu wissen was letztendlich daraus wird. Genauso erlebe ich mein Leben. Eine Erfahrung stapelt sich auf der anderen, daraus ergibt sich dann irgendwann - etwas wichtiges.

Ich musste gerade daran denken, wie viele Beziehungen auseinadergehen, wenn der Tod in ihrer Mitte war. Wenn zum Beispiel ein Kind stirbt. Wenn es so ist wie bei uns, dann wundert es mich nicht, dass sich die Beziehung durch den Schmerz beendet. Momentan weine ich und schreibe meine Gefühle auf, während meine Frau versucht noch einmal zu schlafen. Sie hat mir den Rücken zugedreht. Ich berühre ihre Schultern, sage leise ich liebe dich. Und sie sagt: Ich dich auch. Ich entschuldige mich, weil ich gerade so distanziert bin und sie sagt: Macht nichts. Ich sage: Ehrlich nicht? Sie sagt: ehrlich nicht!.
Und dann kommen mir wieder die Tränen. Ich habe einen Salzgeschmack im Mund, weil mir die Tränen an den Lippen hängen bleiben. Rotze und Tränen.
Das begleitet uns Menschen auch ein ganzes Leben lang. Ich frag mich dann immer, warum gleichzeitig die Nase läuft wenn man Heulen muss, und warum nie ein Taschentuch in der Nähe ist.

Es ist merkwürdig welche Gedanken man hat, während man Trauert.
Als der Vater einer Freundin starb, war sie nicht zuhause und so bekamen wir die Trauernachricht, die wir ihr dann schonend brachten. Sie fing an die Wohnung aufzuräumen und redete laut mich sich selbst, was sie noch alles machen muss, sie sortierte ihre Briefe und Zeitungen und dabei fuhr sie sich fahrig durchs Haar. Wir haben sie ganze Weile gelassen, wir saßen nur da, schwiegen und sahen ihr dabei zu. Irgendwann stand ich auf und nahm sie in den Arm und dann brach es aus ihr heraus, das ganze Leid, der ganze Schmerz. Wie ein Sturzbach: Rotze und Tränen.

Wir trauern alle unterschiedlich, es gibt keine Norm. Die einen stürzen sich in die Arbeit um die Kontrolle nicht zu verlieren, die anderen schlafen und dann gibt es Menschen wie mich, die ihren Schmerz wegschreiben müssen.
Loslassen müssen. Sie weinen während sie reden, während sie essen, während sie lachen, oder eben Schreiben.
Es ist als würde das was in mir ist, durch meine Hände in die Welt getragen werden, ich weiß wenn ich hiermit fertig bin, wird es mir besser gehen. Ich weiß das, weil ich einfach die Erfahrung gemacht habe, dass ich genauso so loslassen kann.

Dieses Wissen ist befreiend, alleine der Blick auf meine Tastatur bewirkt schon ein Gefühl von Hoffnung. Gleich geht es mir besser, gleich habe ich es geschafft, das der Schmerz  nicht mehr so schlimm ist.

Ich fühle den Schmerz gehen. Langsam aber er geht. Das ist das schöne an meinem Glauben, ich weiß irgendwann ist der Schmerz vorbei. Er wird nicht Ewig mein Gast sein.
Er vergeht wie alles vergeht. Der Schmerz ist genau wie eine Pfingsrose. Zu einer bestimmten Zeit erblüht sie auf, an immer den gleichen Stellen im Garten und wenn ihre Zeit gekommen ist, dann ist sie auf einmal wieder verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Genau so ist mein Schmerz, er ist erblüht.
Die Pfingstrose ist ein wunderbares Symbol, und aus diesem Grund hat mein Freund sie auch mit sein Grab bekommen. Sie soll ihn begleiten auf seiner Wanderschaft von diesem Diesseits ins Nächste.
Interessanterweise kam ich gar nicht darauf, sondern meine Tochter. Sie sagte: "Mami da blüht noch so eine schöne weiße Rose im Garten, die können wir doch pflücken und ihm mitgeben!" Und ich umarmte sie lange für diese wundervolle Idee.

Ich merke gerade wie ich schon tiefer Atmen kann, der Stein auf meiner Brust ist nicht mehr ganz so schwer. Diesmal wird es länger dauern, bis ich wieder den Alltag begehen kann, ohne an meinen Freund zu denken. Er hat so viel hinterlassen in mir. So viele Gefühle und Erinnerungen, so viele Gedanken, Momente, Sekunden - Zeit.
Er hat Zeit hinterlassen. Bilder die tief in meinen Augen noch sichtbar sind, wenn ich die Augen schließe, dann sehe ich ihn. Irgendwann werden die Bilder verblassen.
Dann brauche ich richtige Fotos um mich an seinen Gesichtsausdruck zu erinnern.

Ich habe hier noch ein altes Bild meiner Oma liegen, damals war sie ein Kind, ein kleines Mädchen das vor einer Dorfschule stand. Immer dann wenn ich an meine Oma denke, nehme ich dieses Bild in die Hand und schaue sie mir an. Damals war ihre kleine Welt noch ihre Welt und nicht meine. Ich streiche sachte mit meinen Händen über die alte Fotografie. Und dann muss ich lächeln. Oma Gesicht, so wie es aussah kurz bevor sie starb, hab ich fast vergessen. Aber ich habe ihre Hände. Manchmal starre ich auf meine Hände und sehe Omas Hände. So langsam kommen die Falten und Kerben und ich merke schon die ersten Alterungsmale. Kleine braune Sommersprossen, die auch im Winter noch da sind. Das sind die gleichen die Oma hatte. Wir finden immer Gemeinsamkeiten, wenn wir danach suchen. Und auch wenn ich nur dieses eine Foto ansehen mag, wenn ich an sie denke, so weiß ich noch genau wie sie war kurz bevor sie starb. Ich brauche dazu kein genaues Bild, ich bräuchte noch nicht mal die Ähnlichkeit zu meinen Händen. Es ist einfach da, in unserer Erinnerung leben unsere Verstorbenen weiter.

Und genau dort wird auch mein Freund sein, eines Tages. Vielleicht brauche ich Bilder um ihn zu sehen, mich zu erinnern wie er einst aussah, aber in meinem Kopf ist all das Gespeichert was wir zusammen erlebt haben. Mein Kopft schreibt die Bücher des Lebens.

Meine Tränen sind jetzt erst einmal versiegt und ich habe auch ein Taschentuch gefunden um die Nase zu putzen. Der Salzgeschmack ist so beständig wie das Meer.

Mein Freund
Wie sehr ich dich liebe.
Ich werde dich nie vergessen, du bist jetzt dort wo viele meiner Freunde sind, an einem wundervollen Ort unter dem umgestürzten Baum in unserem Garten. Von dort oben hat man einen traumhaften Blick über den Odenwald und an schönen Tagen sieht man sich frei - weit über die Wipfel der Bäume. Manchmal denke ich, von dort oben sieht man sogar bis zum Meer.
Du bist jetzt frei, frei von Schmerzen, frei von Ängsten, du kannst nun über die Wiesen rennen, so unglaublich schnell wie deine drei Beine dich tragen, bis du fliegst. Weit über die Wiesen hinweg an Orten die ich vielleicht nie kennen lernen werde.

Ich lass dich steigen höher und höher, mein Freund.
Komm gut an!!!

Und jetzt sind sie wieder da die Tränen....

Namasté eure Jo







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