Mantra Musik

Samstag, 14. November 2015

Tagebuch - Das Leben und der Tod




Heute hat mir Britta vom Attentat in Paris vorgelesen. Ich erfahre solche Nachrichten entweder durch Visionen die ich habe, oder erst Tage nachdem es passiert ist. Es lässt mich nicht kalt. Ich habe großes Mitgefühl mit den Menschen. Mit allen Menschen, auch denen die direkt am Attentat beteiligt waren.
Gewalt hinterlässt immer Gewalt. Es ist ein ewig langer Kreislauf von Leid.

Vor vielen Jahren hatte ich eine Vision, es war in der Nacht vom 3 zum 4 September 2001. In dieser Vision sah ich zwei Flugzeuge hintereinander in zwei Türme fliegen, ich sah Menschen auf der Flucht vor den Trümmern, ich sah Menschen aus den brennenden Türmen springen. In meiner Vision ging ich durch die Stadt, ohne zu wissen wo ich war. Ich lief an schreienden und verletzten Menschen vorbei, zwischen brennenden Trümmern und Rauchschwaden. Eine blutende Frau bat mich um eine Jacke, ich gab sie ihr, dann ging ich weiter. Ein Mann mit einer Kamera stolperte fast über mich. Während alles um mich herum in Entsetzen getaucht war, war ich ruhig. Ich war die Beobachterin.

Am nächsten Tag war meine Ruhe weg, ich konnte die Vision nicht aus meinem Kopf bekommen, ich wusste es war noch nicht passiert. Ich stand so sehr unter Strom, dass ich darüber reden musste. Mein Glück.

Ich hatte Geburtstag und einige Freunde kamen. Die meisten meiner Freunde wussten um diese Gabe. Als ich ihnen davon erzählte versuchten sie mich zu trösten.

Tage vergingen, ich nutzte das Internet um die Nachrichten zu studieren, denn ich hatte keine Ahnung wo dieses Unglück stattfinden sollte. In meinen Visionen sprechen wir alle die gleiche Sprache. Ich war noch nie in New York und die großen Gebäude lagen nicht in einem Interesse. Somit wusste ich nichts über die Zwillingstürme.
Am 11 September fuhr Britta mich mit unserem Helix Roller zu einem Handyladen nach Darmstadt. Mein Geburtstagsgeschenk. In dem Laden hing ein großer Bildschirm an der Wand und der Verkäufer starrte wie gebannt auf die Nachrichten die gerade liefen. Und so folgte auch unser Blick auf das Geschehen. Es war meine Vision die dort detailgetreu wieder gegeben wurde. Wir wurden beide blass. Britta starrte mich an und sagte nur leise: "Jo das ist..." Und ich sagte: "Ich weiß".
Mir war furchtbar schlecht.  An diesem Tag hörte mein Telefon nicht auf zu klingeln, meine Freunde wollten wissen wie es mir ging, sie wollten reden, Erklärung für etwas das man nicht erklären kann. Irgendwann ging ich nicht mehr ran.

Die darauffolgenden Tage verbrachte ich damit mir immer wieder die Bilder anzusehen,  ich suchte nach zwei Personen, eine fand ich - den Fotografen, die zweite Person, die Frau mit der Jacke fand ich in den Bildern nicht.
Ich wusste sie war tot.

Ich schlief viele Nächte nicht, ich verbrachte Tage vor dem PC, immer wieder diese Bilder im Kopf - gebannt auf dem Bildschirm. Ich konnte es nicht fassen, nicht verstehen, nicht ertragen. Ich machte mir Vorwürfe, ach hätte ich nur genauer aufgepasst, hätte ich nur gewusst, welcher Ort es ist, hätte ich nur irgendetwas tun können. Ich wollte so gerne mit dem Mann mit der Kamera reden, ihn trösten und mich entschuldigen, dafür das er gestolpert war. Real stolperte er über ein Trümmerteil, in meiner Vision war ich ihm sehr nah. Ich habe nie erfahren wer dieser Mann war, wie es ihm nach diesen Anschlag ergangen war.

Später habe ich immer wieder versucht mir während einer Vision Straßenschilder oder Autonummern zu merken. Aber aus irgendwelchen Gründen funktioniert das nicht, ich habe keine Kontrolle über das was ich wahrnehme.

Den gestrigen Anschlag hab ich nicht gesehen. Meine Gabe ist nicht ein oder abschaltbar, sie kommt oder sie kommt nicht. Ich habe mir früher oft Gedanken darüber gemacht, warum ich das eine sehe und das andere nicht. Wo ist die Verbindung? Im Laufe meines Lebens hatte ich viele Visionen, manchmal war ich an Orten die ich real noch nie besucht habe. Mir begegneten Schicksale die weit außerhalb meines Lebens stattfanden. Manche Visionen kommen immer wieder wie eine Endlosschleife, es verändern sich nur Kleinigkeiten in der Intensität, wie eine Geschichte erlebe ich ein Leben, das nicht meines ist. Eine Vision begleitet mich mein ganzes Leben und ich habe keine Ahnung, ob es wirklich irgendwann passiert ist, oder passieren wird.

Heute morgen hab ich darüber nachgedacht, warum ich den Anschlag in Paris nicht vorher gesehen habe, es hätte nichts verändert, dass weiß ich.
Wenn ich eine Vision von einem solchen Ausmaß habe, findet es auch statt. Ich weiß nur nicht wann.

Ich habe schon versucht Visionen zu verändern, das Schicksal aufzuhalten. Eine gute Freundin von mir starb während eines Autounfalls, den ich vorraus sah.
Händeringend hab ich versucht sie davon abzuhalten mit ihrem Geliebten Auto zu fahren. Ich habe ihr meine Vision erzählt, Tage bevor es passiert ist. Ich hab geweint und gebettelt und sie war es die mich tröstete. Jedesmal wenn wir uns sahen, fragte sie  mich, ob meine Vision sich verändert hätte. Ich schüttelte nur traurig den Kopf. Damals war es für mich als würde ich sie jeden Moment verlieren, ein unendlicher Schmerz.
Sie kam und ging und eines Tages kam sie nicht mehr.

Sie ist genauso gestorben wie in meiner Vision. Zwei Autos fuhren frontal aufeinander zu, in einem saß sie. Sie flog durch die Scheibe und starb noch am Unfallort. Ihr Geliebter starb im Notarztwagen. Niemand überlebte. Auch die Jugendlichen im anderen Wagen starben an den Unfallfolgen. 6 Menschen sind gestorben. Ich sah nur ihren Tod und den ihres Geliebten.

Am Tag ihres Unfalls rief mich ihr Freund an, er sagte: "Saskia ist heute gestorben und ich soll dir sagen, dass sie wusste das sie sterben wird und das du nichts hättest tun können. Sie ist dir Dankbar"
Einen Tag vor ihrem Tod hat sie noch gefeiert, eine Art Abschiedsfeier mit den Menschen die sie liebte. Ich war nicht darunter und ich bin froh das ich Zuhause blieb.

Sie hat ihren Freunden von meiner Vision erzählt, und sie gebeten, sie mögen mich anrufen, mich trösten. Mir sagen, das ich hätte nichts tun können, sollte sie wirklich sterben.

Ich bin auch heute noch dankbar für diese Gnade.

Damals war ich entsetzt, verwirrt, voller Angst.
Ich hasste mich für diese Gabe. Ich fühlte mich schuldig an ihrem Tod.

Es hat lange gedauert, bis ich über ihren Tod hinweg kam, ich habe sie geliebt. Eine heimliche Liebe, sie hat nie von meinen Gefühlen erfahren.

Warum erzähle ich euch das?

Der Tod ist etwas, das wir nicht kontrollieren können. Und auch wenn uns das Attentat in New York und Paris sinnlos, brutal, grausam und ungerecht erscheint, ist es dennoch Teil einer Globalen Entwicklung dieser Welt. Es spiegelt das wieder, was bereits gelebt wird.
Es ist Krieg, eine Art Krieg wie wir es nicht kennen. Der Terror dahinter ist nur ein Symbol für einen Gewaltakt der schon lange begonnen hat. Die Art wie darüber berichtet wird, lässt es zum Einzelfall werden. Aber es ist kein Einzelfall. Ich lese seit Jahren - genauer gesagt seit  September 2001 keine Zeitung mehr, weil ich weiß, das noch nicht einmal die Hälfte von dem was in den Artikeln steht, die Realität wieder gibt. Das meiste liegt im Dunkeln und das meiste erfahren wir nicht. Alle Zeitungen unterliegen einer Zensur.
Damals bat mich Britta meine Vision für mich zu behalten, aus Angst um mich.  Als ich das erste mal darüber schrieb, waren Jahre vergangen und doch wird der 11 September heute wieder lebendig. Eine Art Mahnmal für den Beginn eines Krieges, von dem wir nur dann erfahren, wenn wieder ein Attentat geschieht.

Diese Art von Sicherheit ist trügerisch, denn es kann überall stattfinden. Noch sind es die großen Städte, die betroffen sind.
Wir sind mitten im dritten Weltkrieg, schon eine ganze Weile. Nur werden Menschen nicht mit Bomben getötet, auch fahren keine Panzer durch die Straßen, es ist vielschichtiger und undurchsichtiger. Die Welt hält den Atem für Sekunden an, wenn ein Attentat geschieht und dann legt sich der Alltag wie eine sichere Decke über die Gemüter. Weil man es nur durch die Medien verfolgt, man selbst fühlt sich sicher.

Doch wir waren nie sicher und werden es nicht sein.

Krieg ist Bestandteil dieser Erde, dabei spielt es keine Rolle ob wir direkt daran beteiligt sind oder nicht. Ja ihr werdet jetzt sagen, für die die dabei sterben spielt es eine Rolle. Tut es das wirklich?
Tot ist tot. Es ist ein Ende von dem was wir Leben nennen.
Wenn man die Welt wie ich Global betrachtet, ist der Tot nur ein Teil von allem, von einer Beobachtungsposition aus, ist er nicht schlimmer, als das Leben selbst. Es ist ein ewiges Werden und Vergehen. Wir trauern um unsere Toten, weil wir sie vermissen, weil sie nicht mehr da sind. Nicht mehr erreichbar für uns. Auch die Trauer gehört zum Leben dazu. Diese Gefühlsebene die bewusst macht, wie sehr unsere Seele leidet, wenn ein Mensch der vorher noch neben uns stand nicht mehr erreichbar ist. Eine sehr wichtige Erfahrung unserer Menschlichkeit.

Heute morgen hatte ich einen kurzen Moment, da dachte ich darüber nach, was sein wird, wenn Britta oder Shaya eines Tages eines solchen Attentats zum Opfer fallen. Ein dummer Moment die Vergänglichkeit anhand von Fiktiven Vorstellungen bewusst zu machen.
Ich war überrascht, dass es  nicht weh tat, doch dann wurde mir klar warum es nicht weh tut.

Es waren nur Gedanken. Britta liegt neben mir und Shaya ist in der Küche.
Es ist das JETZT der Moment mit meinen Lieben, der mehr zählt. Als die Vorstellung sie zu verlieren.

Während ich das hier schreibe, sind die Grausamkeiten von Paris in den Hintergrund getreten, ich atme ein und atme aus.
Gestern war ein anderer Tag als heute.
Ich wünsche den Angehörigen des Anschlags von Paris, dass sie in Ruhe um ihre Lieben trauern können. Die Zeit danach wird hart für sie sein.
Die Medien werden sich auf die Überlebenden stürzen, denn sie sind es letztendlich die wirklich wissen wie es ist fast zu sterben, zu verlieren, vor Angst zu vergehen. Sie haben mein volles Mitgefühl!

Mein Tag geht weiter, nachher fange ich meinen ersten Workshop an: "Wie werde ich das ICH los?"

Wie passend!

Ab Morgen muss ich einige Gemälde malen, denn im Januar werde ich meine erste Ausstellung machen.
Und eben gerade rief meine liebste Freundin weinend und total verzweifelt an, auch sie kommt heute her. Es wird stressig werden, zwischen Workshop und weinenden Lieblingsmenschen. Aber ich bin da, solange ich da bin...

Das Leben geht weiter, bis es endet...

Mein Lieblingsgedicht von Hermann Hesse beschreibt es so schön:



Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn Herz, nimm Abschied und gesunde!

Hermann Hesse


In Gedenken an die Menschen die gestorben sind, gerade sterben und sterben werden...
In Gedenken an die Mensche die Trauern ...
In Gedenken an Saskia.

Namasté

Eure Jo Andarnil


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